kabolzschüsse: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart
Gras-Ski
Grasskifahrer sind Tanks. Menschliche Panzer. Sie haben sich Ketten unter die Füße geschnallt. Darauf rollen sie dahin. Das sind keine Ski. Das ist adaptiertes Kriegsgerät. Die Grasskifahrer treiben in Friedenszeiten mit dem Erfindungsgeist von Militaristen ganz offen Schabernack. Panzerketten zu Funsportartikeln. Bis 80 Zentimeter sind die so genannten Ski lang und ungefähr so schwer wie richtige Latten, mit denen Schnee befahren wird, nicht Gras.
Was den Wintersportlern das Wachs ist, ist den Grasskifahrern das Öl. Die Kettenmechanik ist höchst empfindlich. Jedes Sandkorn im Räderwerk kostet Zehntelsekunden. Die Grasskifahrer kippen literweise Öl auf ihre Geräte. Die Grasski triefen tropfnass vor lauter Schmiermittel. Das Öl muss biologisch abbaubar sein. Steht in den Regeln. Salatöl wird gern verwendet.
Manche Kettensegmente sind sogar mit Plastikfolie verklebt, damit kein Dreck ins Innere kommt. 60 Prozent der Geschwindigkeit bringt der Ski. Wäre tragisch, wenn die Grasskifahrer etwas bremsen sollte, wo sie doch „Leistungssport“ betreiben. Das behauptet einer von diesen Kettenfahrzeugen, das sich einen schwarzweißen Zebra-Rennanzug vom Nationalteam übergestreift hat, um sich windschlüpfrig ins Tal zu stürzen.
Äußerlich sehen sie also genauso aus wie Hilde Gerg oder Markus Eberle. Doch mit den Alpinen vom Deutschen Ski-Verband (DSV) können die Grasskifahrer natürlich nicht mithalten. Deswegen fahren sie auf Gras.
Auf Schnee hat der eine oder andere schon mal eine deutsche Nachwuchsmeisterschaft in Niedersachsen oder Nordholland gewonnen, mehr jedoch nicht. Das ist nicht verwunderlich, denn die „Leistungssportler“ trainieren nur „zwei bis drei Mal die Woche“.
„Wir kriegen die Hänge nicht öfter“, sagen sie süffisant. In Berlin dürfen sie immerhin regelmäßig auf einer Müllhalde fahren. In Lübars, auf der renaturierten Deponie, fährt man Grasski. Ein Idiotenhügel. Nach 14 Sekunden ist ein Riesenslalom rum. Slalom nach 20. Als Alternative dient der Teufelsberg im Grunewald. Der ist immerhin 400 Meter lang und hat 70 Meter Höhenunterschied vom Gipfel bis ins Tal zu bieten. „Das amerikanische Wachpersonal war immer ziemlich fasziniert“, erinnert sich ein Rennfahrer an die treue Fangemeinde. Aber dort ist das Gras gerade zu hoch. Mit dem Senat streiten sich die Grasfahrer, wer jetzt mähen soll.
Die Hochzeit des Grasski in Berlin ist vorbei. In den 80ern kam ein dreifacher Weltmeister aus der Stadt. Sein Name: Vincent Riewe. Schon mal gehört? Der Mann spielt mittlerweile Schlagzeug im Palastorchester von Max Raabe. Die Berliner Cracks der Neuzeit heißen Martin Waldow und Benjamin Boldt. Sie sind nicht musikalisch veranlagt.
In drei Vereinen kann der Sport in der Hauptstadt betrieben werden: bei den Schneehasen, im Ski-Verband Berlin und beim Ski Club Pallas. Etwa 20 Leute sind aktiv. Genauso viele Zuschauer kommen zu einem Grasski-Event. „Macht nichts“, sagen die Grasskifahrer. „Ist halt so.“
Das ist schade, schlummert im Grasski doch das Potenzial zur Boomsportart. Warum? Weil die Grasfahrer einen Trend vorweggenommen haben, der dann auf den Gletschern vehement zum Durchbruch kam: das Carving.
Mit dem Grasski wird nicht gerutscht. Man steht brutal auf der Kante. Arbeitet mit dem Oberkörper. Man carvt also wie im Lehrbuch. Wer im Grödner Tal oder unter dem Piz Buin im Winter eine gute Figur auf dem taillierten Ski machen will, der versuche sich auf Gras. Und für die Kids: Grassnowboard gibt’s auch. MARKUS VÖLKER
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