kabolzschüsse: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart
Tipp-Kick
Tipp-Kick ist nicht cool und wird es nie sein. Warum eigentlich? Jeder, der in Deutschland nur irgendwie mit Fußball in Kontakt gerät, kennt dieses niedliche Spiel, durchschnittlich beachtliche 100.000 Spielkästen werden jedes Jahr verkauft. Schon fast jeder Bundesligatrainer, jeder Spieler war irgendwann einmal im kicker oder in der Sport-Bild mit den kleinen Figuren zu sehen. Wenn es richtig gut läuft, ist Tipp-Kick Kult. Aber halt nur Kult, nie mehr, aber oft viel weniger. Während durch den Verkauf retromäßiger, grüner Tipp-Kick-Shirts und der Entwicklung modern blitzender Spielfiguren so etwas wie Zeitgeist in die Mieg-Welt einzubrechen droht, ist der Wettkampfsport Tipp-Kick eine ganz traurige Nummer. Es hat immer etwas seltsam Skurriles und Infantiles, wenn erwachsene Menschen einer an sich kindischen Sache mit großer Ernsthaftigkeit nachgehen. Zum Beispiel bei der Spielvereinigung Halbau aus Berlin-Lankwitz.
Die spielt zwar nur noch in der zweithöchsten Tipp-Kick-Klasse, der 2. Bundesliga Nord, ist aber im Tipp-Kick-Sport nicht irgendwer. 1973 wurde Halbau Pokalsieger und 1983 gar „verlustpunktfrei“ Deutscher Meister in der 1973 von ihnen mitgegründeten Tipp-Kick-Bundesliga. Nicht umsonst klingt alles wie beim „echten“ Fußball, es soll ja „echter“ Sport sein, nur nicht im Freien, da könnten sie und ihre Figuren ja nass werden. Drinnen ist in diesem Fall der Gemeinderaum der evangelischen Paul-Schneider-Kirche, der ansonsten einer Baby-Krabbelgruppe Unterschlupf bietet. „Ich weiß, viele sehen Tipp-Kick nur als Kinderspiel“, bedauert Hans-Joachim Schwarz, Vorsitzender der Spvgg Halbau. In dieser schonungslosen Analyse wird ein Teil des Dilemmas der Turnier-Sportart Tipp-Kick deutlich. Tipp-Kicker sind nämlich keine Kinder, auch keine Jugendlichen, und von den Erwachsenen ist auch nur der männliche Teil vertreten.
Im Deutschen Tipp-Kick Verband (DTKV) gibt es neben der ersten Bundesliga und den zwei zweiten noch vier Regional- und fünf Verbandsligen, etwa 750 Turnierspieler stehen an den grünen Spielfeldern und hoffen, dass der eckige Ball doch ihre Farbe zeigen möge. Ein Halbau-Spieler hat das Trikot eines „echten“ Bundesligavereines an, nach dem Spiel wird eines der vorher aufgebauten Dosenbiere geöffnet.
Der Halbau-Vorsitzende Schwarz erhofft sich inständig eine „Blutauffrischung“, ein echtes „Nachwuchsproblem“ wird auch im Verband diskutiert. Gerade in Berlin, das mit Halbau, dem BTV 62 Berlin und dem TFC Eintracht Rehberge drei wirklich bedeutende Traditionsvereine beherrbergt, wird diese traurige Entwicklung resignierend beobachtet. Alle fragen sich, warum aus den Abermillionen von Tipp-Kick-Beschenkten keine Legionen von Turnierspielern hervorgegangen sind. Der vielfach zitierte Computer kommt ins Spiel, überhaupt das Freizeitangebot, die Faulheit der Jugendlichen und die Empfindlichkeit der Frauen. Warum wollen die alle nicht mit am Brett stehen, das kleine Metallmännchen etwas hin- und herschieben; die Uhr läuft und läuft, schnell rum ums Feld. Tipp-Kick ist nicht cool und wird es nie sein.
MATHIAS STUHR
Auf der Außenseiterskala von 0 bis 12: 9 Punkte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen