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kabolzschüsseAuf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Geräteturnen

„Es war eine ganz schöne Erfahrung“, sagt Anja Koch. Sie ist 15. Neulich stand sie zum ersten Mal im Nationalteam. Gegen Weißrussland. Momentan ist Anja die beste deutsche Juniorin des Deutschen Turnerbundes (DTB). Sie soll eine wichtige Rolle spielen. Das heißt: mit dem Team an den Olympischen Spielen in Athen 2004 teilnehmen und langfristig an die Spitze vorstoßen. Das fordert der DTB. Angesichts der Spiele von Sydney, für die sich keine Deutsche qualifizierte, ist das verdammt viel.

In wenigen losen Blättern, die als Nachwuchskonzeption vom Verband verteilt wurden, heißt es sinngemäß: In Zukunft wird im deutschen Turnsport alles besser. Und: Die Zukunft hat schon gestern begonnen. Die neuen Verantwortlichen des DTB, Teamchefin Petra Theiss und der Vizepräsident für den Spitzensport, Eduard Friedrich, betonen immer wieder, dass es aufwärts gehe: „Wir werden uns mit einer kampfstarken und selbstbewussten Truppe bei den Weltmeisterschaften im Oktober präsentieren“, verkündet der als „Schleifer Eddy“ bekannte Friedrich. Anja will dann in Gent auf ihren Lieblingsgeräten turnen: am Balken den Butterfly zeigen und den Flickflack am Boden.

Gute Nachwuchsturner hat es in den vergangenen zehn Jahren aber immer weniger gegeben. In einer „retrospektiven Analyse“ sucht der Verband nach Ursachen der Stagnation. Und fand „gesellschaftspolitischen Veränderungen“. Der Berliner Wolfgang Riedel, Cheftrainer der Juniorinnen, sagt: „Es gibt eine Reihe von Schwächen im System, vor allem der hohe Unterrichtsanteil überfordert die jungen Turner. Es ist ja kein Geheimnis, dass der Aufwand für die Schule hier zu Lande erheblich ist.“ Auch Anja kämpft um gute Noten. Nicht immer erfolgreich.

Von schweren Verletzungen, vor allem Rückenschäden, wurde die Blondine aber bisher verschont. Andere hatten weniger Glück: Mit Dagmar Fehrenschild, Grit Hofmann, Katja Abel (SC Berlin) und Lisa Brüggemann laborieren momentan die besten Seniorinnen an Rücken-, Schulter- und Fußproblemen. Anja, die auch wegen der Verletzungen von Konkurrentinnen plötzlich die Nummer eins ist, sieht die Situation gelassen: „Manchmal habe ich schon Angst, dass mir auch etwas passiert, aber wenn man sich richtig konzentriert im Training, geht das eigentlich.“

Ihre unbekümmerte Art lässt ahnen, wie sehr sie ihren Sport mag, und das immerhin schon seit elf Jahren. „Angefangen habe ich mit viereinhalb, beim SV Preußen, weil ich Turnen im Fernsehen so toll fand.“ Nach der zweiten Klasse wurde sie in die Sportschule aufgenommen, trainiert jetzt in Hohenschönhausen und besucht die 9. Klasse der im Sportforum integrierten Werner-Seelenbinder-Schule. Maxi Gnauck wurde hier getriezt und machte zu DDR-Zeiten zum Wohl des Systems Spagat und Handstand-Überschlag. Auch anderswo wird in Berlin an Barren und Seitpferd trainiert, etwa in der Berliner Turnerschaft Korporation und bei Turnsport 1911. Anja will natürlich ein paar Pötte gewinnen. Später. Jetzt sagt sie: „Es wäre schon schön, in Athen zu starten.“ Ein Jahr danach steht in Berlin das deutsche Turnfest an.

DTB-Vizepräsident Friedrich will das Talent in Griechenland am Stufenbarren und am Boden aufstellen. Er versichert: „Bei mir gibt es keinen Spagat zwischen Leistungssport und ein bisschen Leistungssport.“ Mal sehen, wie lange Anja die Dehnübung aushält, die ihr Sport, Schule und Gesundheit aufzwingt. SANDRA SCHMIDT

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