juttas neue welt: Virtuelles Unkraut
An unserer Wohnungstür klebt ein Zettel mit dem Wort „Blumen“. Und als hätte die Schrift nicht ausgereicht, hat die Mitbewohnerin gleich noch eine daneben gemalt. Damit will sie allerdings nicht die ein und aus gehenden Männer dezent auf den Fleurop-Service aufmerksam machen (ich aber: Unter www.fleurop.de kann man Blumen verschicken!), sondern mich daran erinnern, in ihrer Abwesenheit die Balkonbepflanzung zu gießen. Was eine echte Herausforderung ist. Jedes Jahr, so Anfang Mai, erleidet die Mitbewohnerin eine Pflanzattacke, die zur Folge hat, dass unser etwa zwei Quadratmeter kleiner Balkon einem Gewächshaus gleicht. Oder einem Dschungel. Mittlerweile weiß ich morgens schon nicht mehr, wo ich meine Tasse Kaffee, geschweige denn mich selbst, abstellen soll. Habe ich dann ein lauschiges Plätzchen zwischen Schachbrettblume und Lavendel gefunden, überlege ich mir regelmäßig, ob wir uns mit unserem Prachtbalkon nicht für das Guinness-Buch der Rekorde bewerben sollen.
Schlimmer als die grüne Bedrohung ist für mich jedoch der Bewässerungsdienst. Immer wenn die Mitbewohnerin übers Wochenende verreist, überträgt sie mir die Verantwortung für ihre Pflänzchen. Als hätte ich nicht auch Schöneres zu tun, als an den freien Tagen Wasserträgerin zu spielen! Aber gefügig schleppe ich literweise kühles Nass vom Bad auf den Balkon und schütte es den Platzwegnehmern lieblos über. Dabei denke ich oft, wie schön es wäre, wenn man mal wieder zu zweit hier sitzen könnte. Oder wenn der Blick in den Hof nicht so verwachsen wäre. Aber meine Versuche, das Grünzeug heimlich vertrocknen zu lassen, sind bisher gescheitert, da die Mitbewohnerin sofort nach ihrer Rückkehr zur Flasche greift und „die Armen“ (O-Ton) wieder aufpäppelt.
Ich verziehe mich dann beleidigt in mein Zimmer und mache resigniert den Computer an. Da ich eher vom Virtuellen komme, pflege ich seit kurzem einen Cybergarten – in der Hoffnung, dadurch Zugang zur echten Flora zu gewinnen. Unter www.eizo.de/dat/index_garten.htm habe ich mir das Programm „Gartenzeit“ runtergeladen. Lernsoftware, in meinem Fall. Seitdem wird meine Benutzeroberfläche von einer blauen Gießkanne verziert, die sich per Doppelklick in einen Garten verwandelt. Jetzt bin ich Herrin der Beete. 32 Kästchen gilt es zu beackern und zu bepflanzen. Im Standardangebot sind u. a. Erdbeeren, Veilchen und diese Gelben, die immer krampfadrig-böse gucken. Auf der Homepage vom Gartencenter habe ich noch kostenlose Zusatzgewächse besorgt: Porree, Eisblumen und einen Vogel. Der begrüßt mich fröhlich, wenn ich in meinem virtuellen Idyll hacke, jäte und gieße.
Doch im Netz ist es auf Dauer auch nicht besser als da draußen. Sicher, zu Beginn habe ich meine Computer-Grünanlage noch gewissenhaft gepflegt. Doch kaum hatte ich sie zwei Tage vergessen und kein Cyberwasser runtergeladen, sind schon die ersten Pflanzen verwelkt. Und überall wuchsa Löwenzahn, den ich in den Komposthaufen kopieren musste. „Mein Garten lebt tatsächlich“, dachte ich erschüttert. Aber aus dem Tamagochi-Alter bin ich nun wahrlich raus. Ich schmiss die Gartenzeit vom Rechner. So kam es, dass meine Karriere als Internetgärtnerin ein jähes Ende fand. Für praktische Tipps, wie ich auch den Job der Balkon-Aushilfsgießerin loswerde, wäre ich sehr dankbar. JUTTA HEESS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen