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joachim lottmann: Der Grüne Heinrich Sie. So schön. So . . . anders

Der taz-Sommerroman (VIII): Hinter dem Rücken des Umweltministers arbeitet Ministerialrat Dr. Rezzo Heinrich (45, Die Grünen) am ersten Vier-Wege-Kat für seinen Porsche (355 PS). Da begegnet er der jüngsten Frau unseres Außenministers. Es ist Liebe. Bei ihm

Die vierte und jüngste Frau des Außenministers, Volontärin irgendwo in den Medien! Hatten die sich nicht gerade getrennt? Er machte einen Ausfallschritt in ihre Richtung. Die Beine schmerzten noch von der letzten Nacht. Aber es war wirklich die Kaufmann, das zarte Reh, die scheue Schöne, die so sehr Verletzte. Was sollte er zu ihr sagen? Sie war ein Vierteljahrhundert jünger als sein Freund, nein, sein Idol. Endlich hatte er sie erreicht. Sie sah ihn fragend an.

„Dörte . . . ähm, du musst unbedingt zu meiner Kat-Präsentation kommen! Ähm . . . Dienstag!“

Sie wusste von nichts. Er fragte scheinheilig, ob man sie nicht angeschrieben habe, Öffentlichkeitsarbeit, Gruner und Jahr?

„Ich arbeite jetzt bei Reuters“, sagte sie.

„Ah, schön! Reuters . . .! Also ich mache mich ja stark für den ersten Vier-Wege-Kat bei Porsche. Der wird da präsentiert. 355 PS und du kannst die Luft vom Auspuff glatt atmen!“

Er lachte. Die Leiste tat ihm weh. Was für eine helle Haut sie hatte und was für rote Lippen! „Der umweltfreundliche Porsche, ha ha! Das ist was für die Medien!“ Es war sein Scoop für das Sommerloch, Trittin wusste gar nichts davon. Er kam ins Reden, ins Schwärmen, endlich!

Es tat so gut, dass sie zuhörte . . . Dabei gefiel sie ihm nicht nur äußerlich. Gewiss, sie war eine schöne Frau. Die hohe Stirn, ein wunderbarer Körper, viel nackte Haut: Ein rückenfreier Fummel mit Spaghettiträgern entblößte ihren „makellosen“ (Bild) norddeutschen Körper mehr, als dass er ihn verhüllte (süddeutsche Mädchen waren eher klein und gedrungen). Sie wirkte schutzlos, als käme sie gerade aus der Badewanne. Aber das war es nicht! Sie war so . . . anders, phantasierte er wie alle Verliebten. Sie passte nicht in den abgefuckten so genannten Politik- und Mediensumpf.

Sie ließ sich Feuer geben aus lauter Verlegenheit. „Ich schaffe nie eine ganze. Nimmst du sie mir ab, wenn ich nach drei, vier Zügen nicht mehr kann?“ Dann sagte sie diese „Ich bin ja ein Mensch, der . . .“-Sätze, und Rezzo hörte wohlwollend-soigniert zu.

Sie hatte ja dieses Problem mit dem Außenminister, dachte er, und ihm, Heinrich, würde sie sich anvertrauen, da lief dann voll das Vaterding! „Ach wenn es doch so wäre . . .“, hoffte er und zweifelte zugleich. Zunächst sagte sie nichts in der Art. Er preschte nach vorn, erzählte unvermittelt, wie er einmal als Kind den Außenminister verprügelte. „Der ist im Nachbardorf aufgewachsen. Beide Dörfer benutzten im Winter dieselbe Rodelbahn, und da gab es immer Zoff.“

Sie sah ihn mit aufgerissenen Augen an, als hätte jemand den Gasherd angemacht, höchste Brennstufe . . . Es war bei ihm Liebe auf den ersten Blick.

Zum ersten Mal seit seiner Jugendzeit (die sehr lang ging), seit Pershing zwo, FÜHLTE er wieder etwas, so sagte man doch immer. Es lag an letzter Nacht, die schwere Krater in seine Persönlichkeit geschlagen hatte. Nicht er hatte die militärpolitische Sprecherin der Grünen gefickt; es war glatt umgekehrt gewesen. Eine deprimierende Erfahrung für einen Mann. Trotzdem hielt Angie ihn sicher für den besten Lover in town, hoffentlich erzählte sie es herum!

Als Dörte zurückmusste zu Reuters, um ihren Achtzeiler abzufassen, ging er einfach mit. Schiffbauerdamm, gleich um die Ecke, wie alles im neuen Machtviertel von Schröders herrlicher neuer Republik. Das Licht brach sich durch die hohen Wolken, durch den ewig grauen Wim-Wenders-Himmel über Berlin. Dörtes Büro sah auf den Reichstag, auf die stets wie im Sturm wehenden Deutschlandfahnen dort. Man sah irgendwie das ganze unfertige, disharmonische Land: auch die Stahl- und Glas-Ungetüme des Bundes, nicht weit davon triste Brandmauern aus der Nachkriegszeit, verwilderte Wiesen, Pfützen, leer stehende Plattenbauten.

Reuters war in einer deprimierenden Backsteinfabrik aus dem vorvorigen Jahrhundert untergebracht, und schlimmer noch: RTL, ein hirnloser Privatsender aus dem vorigen Jahrhundert, war dem vorgelagert. Semiotisch ein Schwanken zwischen Pest und Cholera. Rezzo fühlte etwas ganz anderes. Die junge Frau brauchte Hilfe. Sie wirkte so . . . tapfer! Jeder wusste, sie war die Exfrau vom Außenminister, und sie gab sich so Mühe, das Gefühl der verstoßenen Frau zu überwinden. Er wollte aber nicht in sie dringen (nicht verbal), bevor sie nicht selbst mit dem Thema begann. Denn offiziell gab es keine Ehekrise.

Dass es nicht klappen würde mit ihr und dem, hatte Heinrich schon bei deren Einweihungsparty gespürt. Sie waren nach Mitte gezogen, in die Tucholskystraße, dort, wo „Emil und die Detektive“ spielte, 1930. Der Minister, der sonst keinen Alkohol trank, brachte den Champagner in Plastiktüten mit. Wie ein ganz normaler Sponti hatte er was zum Saufen organisiert. Heimlich. Es war gerade Kosovokrieg.

Fortsetzung nächsten Samstag.

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