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jeremy rifkin, leitkultur etc.Die amerikanische Linke hat ihre neue Heimat in der Alten Welt gefunden

Europa, du verkaufst mich besser

Wirtschaftswissenschaftler haben es nicht leicht. Sie müssen in langwierigen Prozessen auf Politiker einwirken, um ihre Forschungsergebnisse Jahre oder Jahrzehnte später unzulänglich umgesetzt zu sehen – oder auch nie: Die Idee ihres Kollegen James Tobin zum Beispiel, jeden Kauf oder Verkauf einer Währung mit einer Steuer zu belegen, würden amerikanische Ökonomen zu Hause wohl niemandem vorschlagen.

Groß ist darum zurzeit in Amerika die Begeisterung über das neue Experimentierfeld Europa: „Das Europäische Parlament besteuert alles, was sich bewegt“, freut sich der Ökonom Rudiger Dornbush vom MIT in der New York Times auf die nächsten Abstimmungen zur Tobin-Steuer. Er hält die Abgabe zwar für keine gute Idee, könnte seine Ablehnung aber mit etwas Glück bald mit europäischem Datenmaterial untermauern.

Tobin selbst war in den 90er-Jahren wie viele andere fortschrittliche Denker in den USA nicht gerade begeistert nachgefragt worden. Dafür wird er jetzt von der europäischen Linken mit Kollegen wie Jeremy Rifkin als Vordenker gefeiert. Tobin nimmt die Rolle nur zögerlich an – im Gegensatz zu Rifkin, der seinen Ruhm als Globalisierungskritiker mit einer Europatournee und Gastbeiträgen in den hiesigen Zeitungen festigte.

Rifkin & Co. kommen mit ihrer Systemkritik für die ganze Familie in Europa gut an: Sie sind keine Marxisten, und statt von Klassenkampf und anderen unappetitlichen Dingen spricht zum Beispiel Rifkin lieber vom „Schutz der kulturellen Artenvielfalt“. Sein Buch über das „Verschwinden des Eigentums“ ist darum in Italien und Deutschland im Zuge des transatlantischen Antiglobalisierungskonsenses ein Bestseller geworden.

Einen Missklang gab es am Wochenende: Als die FAZ einen Text Rifkins als Plädoyer „für eine deutsche Leitkultur“ ankündigte, bat der Autor um Korrektur – mit dieser Vokabel wolle er nichts zu tun haben. Nun, das hätte er sich vor seinen Ausflügen in die Alte Welt überlegen sollen. Jetzt ist es zu spät: Rifkin gehört uns, er ist längst Leitkultur. Und was wir damit machen, entscheiden wir natürlich selbst. KOLJA MENSING

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