piwik no script img

jenni zylka über Sex & LügenWer was leise stöhnt bei Nacht

Gegen intime Plaudereien hilft nur, sich die Ohren zu verstöpseln oder auf einen anderen Planeten auszuwandern

In einem fernen Land lernte ich einst eine mächtige Blondine kennen, die sich mit Vorliebe so anzog wie Divine in verschiedenen John-Waters-Filmen: sehr beeindruckend. Jene Blondine erzählte mir eines Abends von ihrem Plan, ein Buch herauszubringen, Inhalt: die Sätze, Wörter oder Laute, die man von seinen LiebhaberInnen beim Orgasmus zugestöhnt bekommt. Und ob ich nicht auch ein paar Schmankerl für ihre Sammlung …?

Wir Deutschen sind da noch nicht so weit, konnte ich mich das erste und hoffentlich letzte Mal im Leben auf meine Nationalität herausstottern, weißt du, ich bin da eher prüde, ich möchte das nicht so gerne weitererzählen … Doch die Divine-Blondine zeigte mir ungerührt ihr Notizbuch mit der Ausbeute der letzten paar Tage: Ein Eingriff in die Intimsphäre nach dem anderen, ein persönliches, durch erregungsbedingte Blutarmut im Gehirn herausgeschrienes Statement jagte das nächste, bis sich mir vor Scham die Fußnägel hochrollten. Und dann auch noch auf Amerikanisch. So ein abgelutschtes „Oh yeah, give it to me, oh yeah, right there!“ klingt irgendwie noch peinlicher als ein „Gib’s mir!“. Aber ich will das ohnehin nicht wissen. Absolut nicht.

Die Blondine machte mir Angst. Man muss sich die Situation vorstellen, ein fremdes Land, ein dunkles Etablissement, ich nicht heimisch im Idiom, die Blondine mächtig und mächtig angeheitert, nachher kommt sie noch auf die Idee, einen Doppelwhopper mit mir zu machen? Oder mich zum Zuschauen zu zwingen? Huach.

Ist das reine Prüderie, fragte ich daraufhin mein Umfeld und mich, es gibt doch mannigfaltige Beispiele für moderne Indiskretionen in Kunst, Literatur und dem ganzen Rest, neulich erlebte ich sogar am Nebentisch, dass eine Dame ihren grienenden Freundinnen vormachte, wie ihr Exfreund kommt, nämlich so: Kss, ksss, ksssss, ksssssssssss!!! Ich hoffe, ich lerne den Mann nie kennen und lieben. In meinem Freundeskreis scheint man allerdings eher – zumindest innerlich – den gefestigten Moralvorstellungen der Fünfziger anzuhängen: Weder von echtem, freiwilligem und skandalfreiem Partnertausch wurde mir berichtet (immerhin von einem verunglückten Versuch mit schrecklich viel Schnaps und darauf folgender, viermonatiger Stressphase) noch auch nur ein einziges gemeinsam durchgestandenes Sex-Abenteuer erlebt. Zwar scheinen meine FreundInnen, wenn sie jung, wild und frei sind jedenfalls, alle Nase lang zusammen auszugehen, um ihre Auftrittsstärke durch die freundschaftliche Gruppenbildung zu potenzieren, aber sobald wirklich etwas (also jemand) an den Start kommt, trennen sich die Wege: Der/die eine hüpft vorfreudig mit dem Aufriss nach Hause, der/die andere freut sich bei noch ein paar Drinks uneigennützig in der Bar mit. Geteiltes Glück bei den Frauen/Männern ist so quasi doppeltes Glück bei den Frauen/Männern.

Aber eben nur bis zur Tür. Was dann auf dem Bett, der Waschmaschine oder wo andere Leute sich vergnügen, passiert, das bleibt normalerweise auch da und damit persönlich. Interessanterweise brauchen Menschen im Umkehrschluss anscheinend bei anonymem Sex, beispielsweise mit fremden amerikanischen Pornodarstellern, die während des Akts sehr weit weg, nämlich im Fernseher, bleiben, auf gar keinen Fall das Persönlichkeitsgefühl. Einem Freund wurde nämlich neulich eine Porno-DVD mit den Worten in die Hand gedrückt: Ich kann die nicht gucken, eine der Darstellerinnen sieht aus wie jemand, den ich kenne. Das ist doch nicht so schlimm, sagte der Freund daraufhin, sonst hast du doch auch Sex mit Leuten, die du kennst. Aber der DVD-Verschenker erklärte, er möge solche Filme lieber, wenn niemand so aussieht, als ob man mit ihm Bier trinken gehen könne.

Ein wenig Schwung in diese prüde Mein-Freund-gehört-mir-Atmosphäre kommt ja stets, wenn sich zwei Menschen kennen lernen, die zufällig mal die gleiche Gspusi-Vorliebe teilten. Ich habe das auch schon erlebt. Plötzlich weiß jemand, von dem man ansonsten höchstens den Namen kennt, etwas extrem Persönliches, Privates über einen. Verbindet das? Ich glaube nicht. Und wenn, dann bin ich zu prüde, es zu formulieren. Die sonnige alte Hippie-Vorstellung, dass jeder über fünf Ecken mit der ganzen Welt gut Freund ist, finde ich im Übrigen auch eher gruselig als beruhigend. Die ganze Welt könnte also, mit etwas Pech, über fünf Ecken herumkolportiert bekommen, was ich beispielsweise 1990 mal Dämliches im Orgasmusrausch geschrien habe. Gott bewahre. Dann müsste ich wohl doch noch auf einen anderen Planeten auswandern.

Fragen zu Sex & Lügen?kolumne@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen