internet: Blumenwiese für Boomer
Regionalgruppen auf Facebook sind digitale Atempausen, geprägt von einer wunderbaren Spießigkeit
Facebookgruppen bestechen oft durch einen gewissen Ekelfaktor: In „Ältere Männer suchen junge Singlefrauen“ fehlt jeder Frauenname. In der „Druffi-Ballerburg“ tauschen sich Hobby-Chemiker über radikalen Drogenkonsum aus. In „Grüne NEIN DANKE!!“ wird regelmäßig über die drohende Umvolkung berichtet (Spoiler: Sie kommt wohl).
Wendet man sich stattdessen mal der eigenen Nachbarschaft zu, stößt man unter lauter Landminen überraschend auf eine digitale Entschlackungskur: die wunderbare Spießigkeit regionaler Facebookforen.
Die Gruppe „Friedenau-Online“ mit über 9.000 Mitgliedern etwa, eine Online-Community für den bürgerlich-grünen Stadtteil in Berlin-Schöneberg, der vor allem für Springbrunnen und pensionierte Professoren bekannt ist. Zum Beispiel im Oktober 2024, kurz nach Mitternacht: Jemand postet ein verwackeltes Foto eines x-beliebigen Baumes. Überschrift: „Majestätisch – die Kaisereichel“. Dass hier nicht das berühmte Stadtteil-Wahrzeichen „Kaisereiche“ abgebildet ist, sondern nur irgendein Baum, ist nebensächlich. Viel diskutierter ist die verhängnisvolle Wortneuschöpfung „Kaisereichel“.
Oder es gibt den Nutzer, angesichts seines Profilbilds schätzungsweise um die 70, der regelmäßig für Aufregung sorgt – etwa beim Thema Grillwagen, der zu lange steht. Er verweist auf „enge Kontakte zum Ordnungsamt“ und startet eine Abstimmung: „Bleibt stehen“ oder „Muss weg“. Die Reaktion eines anderen Friedenauers: „Bin ich der Einzige, für den das total nach Stasi klingt?“ – ist er nicht.
In „We love Hamburg“ versucht sich jemand am Promigossip: „Lauterbach sitzt beim Vietnamesen an der Rothenbaumchaussee“ und stößt auf Unglauben. Die Userin „Heike auf Facebok“ (sic) notiert in Köln-Marienburg: „Habe mich heute als Autofahrerin in der neuen Fahrradstraße unwohl gefühlt“ – 150 Kommentare später: maximale Emoji-Erschöpfung.
Aber: endlich mal Problembewältigung ohne Weltuntergang. Regionalforen sind digitale Atempausen. Katharina Andresen
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