: hintergrund
Im akademischen Milieu ist die Parallelgesellschaft vor allem seit Mitte der Neunzigerjahre ein Begriff, geprägt hat ihn Wilhelm Heitmeyer. Der Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld beschrieb damit die Gefahr, eine Minderheit könne sich parallel zur Hauptgesellschaft eines einheitlichen Kulturkreises entwickeln. Sie ist Subkultur, wenn sie Eigenheiten der Hauptgesellschaft übernimmt. Und sie ist Gegenkultur, wenn sie sich durch die scharfe Abgrenzung von der Mehrheit definiert. Mitglieder der Parallelgesellschaft nehmen nur parasitär an der Hauptgesellschaft teil, indem sie dort zwar dringende Bedürfnisse befriedigen, sich ansonsten aber jedem gesellschaftlichen Diskurs verweigern.
Tagespolitisch aktuell wurde der Begriff erst nach der Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh durch einen radikalen Islamisten im vergangenen Jahr. Politisch operabel wurde er aber durch seine negative Umwertung durch konservative Medien und die Union. Als „parallel“ wird seitdem eine Gesellschaft bezeichnet, die sich dem Zugriff der Mehrheit entzieht und somit zur Desintegration der Hauptgesellschaft beiträgt; womit, und das ist der Trick, schweigend vorausgesetzt wäre, dass es eine solche Hauptgesellschaft überhaupt noch gibt – was angesichts der postmodernen Zersplitterungen aber nicht der Fall ist. Die Hauptgesellschaft ist ein gewöhnliches Phantasma wie die Parallelgesellschaft auch.