heute in hamburg: „Aktuell ist Gedenken enorm wichtig“
Nicole Mattern 46, ist Projektleiterin der Woche des Gedenkens in Mitte.
Interview Paula Bäurich
taz: Frau Mattern, warum steht die Gedenkwoche unter dem Titel „Mitten unter uns“?
Nicole Mattern: Einerseits bezieht sich der Titel auf die Zeit des Nationalsozialismus, also auf das, was damals „mitten unter uns“ geschehen ist. Andererseits soll er darauf hinweisen, dass heute die Gedenkstätten in Hamburg „mitten unter uns“ sind. Oft werden Gedenkstätten mit großen Plätzen verbunden, dabei gibt es auch so viele kleine, bedeutende Gedenkorte, die überall verstreut sind.
Warum ist die Veranstaltung jetzt wichtig?
Viele Themen finden aufgrund der Coronapandemie kaum noch Beachtung. Dabei sind Themen wie aufkeimender Antisemitismus und Diskriminierung enorm wichtig aktuell. Zudem konnten die Gedenkveranstaltungen im Frühjahr nur digital und ohne die wichtigen Zeitzeug*innen stattfinden.
Das Gedenken in Zukunft ohne Zeitzeug*innen wird deutlich schwieriger.
Deswegen haben wir vor allem Interviews geführt und Zeitzeug*innen und Angehörige zu Wort kommen lassen. Es ging uns darum, dass die Woche des Gedenkens nicht „nur“ Gedenkveranstaltungen versammelt, sondern dass es auch eine Auseinandersetzung insbesondere mit der jungen Generation gibt. Dafür wurde ein Schulprojekt entwickelt, in dem wir Gesprächspartner*innen, die ihre Familiengeschichte aus der NS-Zeit erzählen, an Schüler*innen vermittelt haben.
Wie haben die Schüler*innen darauf reagiert?
Die Woche des Gedenkens in Mitte unter dem Motto „Mitten unter uns“ findet von heute bis zum 15. November online statt. Das Programm findet sich auf www.gedenken-hamburg-mitte.de
Sie waren sehr interessiert, egal ob es Erzählungen von Zeitzeug*innen selbst oder ihren Angehörigen waren, da sie gemerkt haben, wie sehr die NS-Zeit Familien auch noch heute beschäftigt. Im Nachhinein konnten wir viel darüber diskutieren, ob der heutige Antisemitismus tatsächlich ein neuer ist oder der alte, den wir nicht verarbeitet haben.
Warum müssen sich junge Leute mit der NS-Zeit auseinandersetzen?
Genau diese Frage haben wir den Schüler*innen am Ende gestellt. Sie meinten, man müsse die Vergangenheit kennen, um die Gegenwart zu verstehen. Das sehe ich genauso: Um aktuelle politische Entscheidungen in Deutschland nachvollziehen zu können, muss man unsere Vergangenheit kennen. Und die Auseinandersetzung ist nicht unbedingt negativ. Zwar ist die Vergangenheit vor allem in Deutschland sehr schwer, aber das, was am Ende herauskommt, ist ja, dass wir einander die Hand reichen.
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