heute in hamburg: „Das Rechtssystem ist unlesbar“
Vortrag und Diskussion: „Im Wartesaal des Rechtsstaats: Was Geflüchtete hinter der Grenze, vor dem Gericht erwartet“, 19.30 Uhr, digital, Links auf der Webseite des Hamburger Instituts für Sozialforschung
Interview Paula Bäurich
taz: Herr Eule, Sie sprechen von einem rechtlichen Labyrinth, in das Geflüchtete hineingeraten, wenn sie nach Europa kommen. Was meinen Sie damit?
Tobias Eule: Wir haben in acht europäischen Ländern untersucht, wie Menschen mit einem prekären Rechtsstatus versuchen, zu einem legalen Aufenthaltsstatus zu kommen. Dabei sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass es in allen untersuchten Ländern enorm schwierig und undurchschaubar ist, eine Legalisierung zu erreichen.
Was macht das mit den Betroffenen?
Einerseits besteht eine große Unsicherheit, da die Verfahren sehr lange dauern, oft mehrere Jahre. Das Warten und damit der Kontrollverlust über die eigene Zeit hat einen sehr negativen Effekt auf den Zustand der betroffenen Menschen. Andererseits führt die Tatsache, dass sie nicht wissen, was auf sie zukommt, also die Unlesbarkeit des Rechtssystems, dazu, dass die Geflüchteten das Gefühl haben, die Macht des Staates werde immer mehr verstärkt.
Kennen die Geflüchteten ihre Rechte?
Für die meisten ist schon die Informationsbeschaffung zu ihren eigenen Rechten eine Herausforderung. Aber selbst wenn Geflüchtete ihre Rechte kennen, ist es enorm schwierig für sie, einen Weg durch das Asylsystem zu finden, da es so komplex und undurchsichtig ist.
Ist das Asylrecht bewusst auf Abschreckung hin ausgelegt?
Nein, das glaube ich nicht. Es ist wichtig, festzuhalten, dass viele Geflüchtete irgendwann einen legalen Aufenthaltsstatus bekommen. Die rechtliche Lage in Europa schreckt also nicht nur ab, sondern erzeugt auch Hoffnung und bringt so Menschen dazu, weiter zu versuchen, ihren Status zu legalisieren. Das komplexe System kann genauso erdrückend wirken, wie es plötzlich Chancen ermöglicht. Nur ist dieser Prozess mit unerträglichen Umständen für die Betroffenen verbunden.
Welche Auswege aus dieser Situation sehen Sie?
Das einfachste ist, dass Menschen, die noch keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, aber auch nicht abgeschoben werden können, die Möglichkeit bekommen müssen, eine Bleibeperspektive für sich aufzubauen. Das diskutieren wir in Deutschland mittlerweile seit 20 Jahren und wissen aus der Empirie sehr gut, was solche Umstände, denen Geflüchtete in dem Wartestatus ausgesetzt sind, mit Menschen anrichten.
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