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heute in hamburg„Verfahren sehr pauschal eingesetzt“

Vortrag „Auf der Suche nach ‚Verfassungsfeinden‘. Der Radikalenbeschluss in Hamburg 1971-1987“: 18.30 Uhr, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH), Beim Schlump 83, Eintritt frei

Interview Katharina Gebauer

taz: Frau Jaeger, wie ist Hamburg bei der Suche nach „Verfassungsfeinden“ in den 1970er-Jahren vorgegangen?

Alexandra Jaeger: Die Grundlage der Überprüfungsverfahren war der Radikalenbeschluss von 1972. Bei allen Einstellungen im öffentlichen Dienst wurde vorher beim Verfassungsschutz angefragt, ob es Zweifel an der Verfassungstreue der Bewerber gibt. Im Regelfall waren das Aktivitäten in kommunistischen Organisationen. Dies Verfahren wurde pauschal eingesetzt, es kam in erster Linie auf die Verfassungsschutzangaben an, meistens wurden die Bewerber der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) zugeordnet.

Konnte man sich dagegen wehren?

Das Verhalten im Dienst mit positiven Beurteilungen wirkte sich nicht für die Betroffenen aus. In Anhörungen befragte man die mutmaßlichen Kommunisten zu den Vorwürfen, die Bekenntnisse zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung glaubte man ihnen nicht, folglich wurden viele Bewerber abgelehnt.

Wie reagierten die Betroffenen darauf?

Für die DKP-Anhänger war die Frage nach der Parteizugehörigkeit verfassungsrechtlich unzulässig. Sie argumentierten mit ihrem Verhalten im Dienst und ihren Vorstellungen zu ihrem Berufsverständnis als Lehrer*in gegen die Vorwürfe. Anhänger anderer, vorrangig maoistischer Gruppen kamen teilweise gar nicht zu den Anhörungen oder sprachen sich offen für die Diktatur des Proletariats aus.

Wie erklärt sich das Vorpreschen Hamburgs sowohl bei der Verschärfung als auch bei der Liberalisierung der Praxis?

Foto: Maike Raap

Alexandra Jaeger, 42, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte.

In Hamburg wuchs Anfang der 1970er-Jahre der Einfluss der DKP im Schulbereich vergleichsweise stark. Während DKP-Anhänger Ende der 1960er-Jahre noch eingestellt wurden, setzte sich ab 1970 der Bürgermeister und ehemalige Schulsenator Peter Schulz für ein Vorgehen gegen kommunistische Lehrer ein. Die Sozialdemokraten versuchten sich im Kalten Krieg von Kommunisten abzugrenzen.

Wie veränderte sich dadurch das Verhältnis zwischen Staatsräson und den Grundrechten?

In den 1970er-Jahren hat sich der gesellschaftliche Konsens gegenüber dem Antikommunismus stark gewandelt, es wurde Kritik an den einschüchternden Maßnahmen laut. Dadurch geriet die SPD unter Druck und erlitt einen Glaubwürdigkeitsverlust. Hans-Ulrich Klose, der Nachfolger von Schulz, stellte die Praxis schließlich selbstkritisch infrage und setzte die Veränderung in Gang.

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