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heute in hamburg„Wir werden fast schon Freunde“

Johanna Steiner, 34, ist Hörspielmacherin und Podcasterin.

Interview Yasemin Fusco

taz: Frau Steiner, Texte, die man früher nur für sich geschrieben hat, soll man heute vor fremdem Publikum vorlesen. Ist das nicht sehr privat?

Johanna Steiner: Es kommt darauf an, wie privat man es halten will. Wir wollen natürlich nicht, dass die Vortragenden sich unwohl fühlen – aber sie suchen sich ihre Geschichten selbst aus. Tagebucheinträge sind immer privat, aber zum Beispiel Aufsätze aus der Grundschulzeit schon deutlich weniger.

Was sind das für Geschichten, die vorgelesen werden?

Es war schon alles dabei. Von Reiseberichten bis hin zu Kriegsdienstverweigerungsbriefen. Auch die klassischen Briefe an sich selbst, die man mit 15 an sein älteres Ich schreibt, sind dabei. Bei einem Brief an sich selbst musste die Vortragende dann feststellen, dass manche Dinge doch nicht so eingetroffen sind, wie sie sich das vorgestellt hatte. Uns Moderatoren ist es wichtig, dass niemand bloßgestellt wird.

Romantisiert man damit vergangene Zeiten, die unter Umständen schwierig waren?

Romantisieren wollen wir das Geschehene nicht, besonders nicht die traurigen Texte. Wir wissen ja, dass es für die Vortragenden mitunter das erste Mal ist, dass sie persönliche Texte vor Publikum vorlesen. Unser Publikum geht sehr respektvoll mit den Geschichten um. Trotzdem wollen wir die prägenden Zeiten noch mal durchleben und uns gemeinsam zurückerinnern. Und zur Not gibt es für die Leute auf der Bühne freie Getränke, wahlweise mit Alkohol, um sich lockerer zu machen.

Kam es beim Vorlesen mal dazu, dass die Vortragenden angefangen haben zu weinen?

„Texte von gestern“: Yoko Bar, Valentinskamp 47, 19 Uhr

Geweint hat noch niemand. Da hilft Adrenalin und die Aufregung, weil man vor dem Publikum steht. Hauptsächlich stehen unsere Vortragenden mit Gefühlen wie Erstaunen, Augenzwinkern oder leiser Scham auf der Bühne.

Ist das Vorlesen vor Publikum so etwas wie Vergangenheitsbewältigung?

Bei ernsteren Texten spielt schon eine gewisse Vergangenheitsbewältigung mit hinein. Für die, die sich beim Vorlesen schämen, gibt es meist großen Applaus. Die Vortragenden schenken uns einen Blick in ihre Vergangenheit. Und das Publikum erkennt sich oft darin wieder – wenn zum Beispiel über die erste große Liebe geschrieben wurde. Alle spüren dann diese Energie. Manchmal kommen Leute mehrmals; und irgendwann hat man dann das Gefühl, sie zu kennen.

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