heute in hamburg: „Es geht um kulturelle Hegemonie“
Guido Caldiron, 54, ist Journalist mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus.
Interview Anna Dotti
taz: Herr Caldiron, wer sind die Neofaschisten in Italien?
Guido Caldiron: Sie sind eine Mischung aus verschiedenen Strömungen. Auf der einen Seite gibt es die außerparlamentarischen politischen Bewegungen, die versuchen, eine rechte Kultur innerhalb der Jugendlichen zu etablieren – durch Veranstaltungen wie Konzerte und Partys. Auf der anderen Seite gibt es die Faschisten innerhalb der Regierung, die dieselben Schlagwörter benutzen und der Lega Partei angehören.
Ist die rechtsextremistische Bewegung weit verbreitet?
Es gibt verschiedene Bewegungen, aber ehrlich gesagt sind es nicht so viele – militant sind einige Tausende im ganzen Land. Aber wenn wir daran denken, dass der Slogan „Italiener zuerst“ im Moment das Schlagwort der Regierung ist, heißt das, dass solche Gedanken heutzutage sehr weit verbreitet sind.
Wie gefährlich ist die (neo)faschistische Rechte in Italien?
Es gibt zwei Aspekte: Einer davon ist die Gewalt, die wir gegen Migranten sehen. Diese werden als eindringende Feinde beschrieben, deren Präsenz ein Problem für die nationale Identität und für die Reinheit des Blutes darstellt. Der andere Aspekt ist aber noch gefährlicher. Es geht um die kulturelle Hegemonie, die diese rechtsextremistischen Bewegungen zusammen mit den institutionellen Rechtspolitikern stärken. Das führt letztendlich zu einem antidemokratischen Zustand, zu einem Regime.
Wieso kommt es zu solchen Entwicklungen?
Diskussion: „Rechtsradikale Entwicklungen in Italien“ mit dem Journalist en Guido Caldiron und der Aktivistin Cristiana Gallinoni, 19 Uhr, Centro Sociale, Sternstraße 2
Die Ursachen haben einen historischen und einen politischen Ursprung. Seit den 90er Jahren, seit der Zeit von Berlusconi, gab es eine romantische Version eines guten Faschismus, der nur von falschen Allianzen irregeführt wurde. Nach zwanzig Jahren Berlusconi-Regierung haben wir, wie ganz Europa, die Wirtschaftskrise erlebt und die Zunahme der Migrationsströme.
Wie sieht es mit Gegenbewegungen aus?
Es gibt viele Gegenbewegungen, vor allem in der außerparlamentarischen Linken, die sich besonders im Schutz und der Integration von Migranten einig sind. In diesen Tagen gab es eine Demonstration der Solidarität in Riace, einer kleinen Stadt in Süditalien, um den Bürgermeister zu unterstützen, der eine Willkommenspolitik für Migranten betreibt. Noch ein Symbol ist das Schiff Mare Jonio, das von italienischen NGOs gekauft wurde und jetzt gerade nach Libyen fährt, um Migranten zu retten.
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