heute in hamburg: „Nicht nur goldene Regel“
GLAUBEN Das EKD-Ratsmitglied Jacob Joussen diskutiert über die religiöse Suche nach Sinn
45, ist Juraprofessor an der Ruhr-Uni Bochum und Mitglied des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland.
taz: Herr Joussen, wann haben Sie sich zum ersten Mal die Sinnfrage gestellt?
Jacob Joussen: Wahrscheinlich während meines Studiums, in der Auseinandersetzung mit meinem Studienfach.
Ging es dabei gar nicht um Religion?
Doch, weil ich wie selbstverständlich davon ausgegangen bin, ein religiöser Mensch zu sein, und dann während des Theologiestudiums gemerkt habe, dass da etwas ist, worüber ich intensiver nachdenken muss.
Sie haben also neben Jura auch Theologie studiert?
Ich habe sogar zuerst Theologie studiert, ein Semester davon in Rom, und habe dort das Theologiestudium vorzeitig beendet. Ich fand heraus, dass ich meine Religion zumindest nicht als Theologe weiter leben kann.
Später fanden Sie heraus, dass Sie auch als Katholik Ihre Religion nicht leben können?
Ich hatte in Rom ganz viele Fragen an die katholische Lehrvorstellung. Das setzte einen Prozess in Gang, der sich über acht, neun Jahre hingezogen hat.
Stiftet der Protestantismus mehr Sinn als der Katholizismus?
Für mich ist er die sehr viel näherliegende Religion, weil er bei vielen Fragen nicht über eine lehramtliche Vorstellung vorgeht, sondern die Verantwortung des Menschen selbst in den Mittelpunkt stellt.
Man könnte einen Schritt weitergehen und es gleich mit Philosophie versuchen …
Ich bin so der Vorstellung eines transzendenten Wesens verhaftet, dass ich das Gefühl habe, dass der Sinn nicht nur eine Frage des Verhaltens von Menschen untereinander ist. Für mich ist ein als Gott bezeichnetes Wesen vorhanden, das mir eine Leitschnur vorgibt. Ich komme von der lebenspraktischen Seite zur Religion – aber nicht mit der goldenen Regel, die jeder Humanist vertreten kann, sondern mit der Vorstellung, dass das Menschsein an ein höheres Wesen gebunden ist.
Können Sie die Frage, welchen Sinn das Leben hat, beantworten?
Nein.
Für sich selbst?
Nicht nur auf mich allein gestellt durch den Kosmos zu wandern, sondern in der Gemeinschaft mit vielen Menschen zu versuchen, ein glückliches und gutes Leben zu führen.
Interview: Gernot Knödler
„Glaubenswege: zur religiösen Sinnsuche als biografischem Leitmotiv“: 19 Uhr, Bucerius Law School, mit Esra Kücük, Initiatorin der Jungen Islamkonferenz
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