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heute in hamburg„Verdrängte Wünsche“

DISKRIMINIERUNG Rassismus und Antisemitismus können als „pathische Projektion“ erklärt werden

Foto: privat
Andreas Peham

49, Rechtsextremismus- und Antisemitismusforscher, arbeitet am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien.

taz: Herr Peham, haben Sie selbst auch rassistische Vorstellungen?

Andreas Peham: Ja – und ich entdecke immer wieder welche. Das ist ein lebenslanger Prozess, zumindest für Angehörige der sogenannten Mehrheitsgesellschaft.

Was verstehen Sie unter „pathischer Projektion“?

Allgemein ist die Projektion ein normaler, unproblematischer Vorgang. Das Wort „pathisch“ stammt aber von pathologisch. Wir haben es mit einem Abwehrvorgang zu tun: Alles, was ich bei mir verdrängen muss, ist dann auf einen Anderen projiziert – so ist es beim Rassismus und Antisemitismus. Und der Staat, die Politik, spielen auch eine Rolle.

Was hat die Gesellschaft damit zu tun?

Die sozialen Diskurse beeinflussen, auf wen die verdrängten Vorstellungen und Wünsche projiziert werden – sie entscheiden über die Objekte der Projektion mit. Ein Beispiel ist die Sehnsucht nach Faulheit, die in der neoliberalen Leistungsgesellschaft unterdrückt werden muss. Wenn man das tut, taucht diese verdrängte Sehnsucht im Kampf gegen die sogenannten Sozialschmarotzer wieder auf.

Wieso werden Juden mehr als andere diskriminiert?

Das Tragische beim Antisemitismus ist es gerade, dass er eine viele Hundert Jahre währende Geschichte hat. Je älter ein Ressentiment ist, desto plausibler wird es. „Ihr habt unseren Gott getötet“ ist einer der ersten antisemitischen Sätze, der gesprochen wurde. Von dieser permanenten Wiederholung sind viele Fantasien über die jüdische Übermacht abgeleitet. Juden sind denn ein sehr guter Prototyp von Fremden – auch wenn sie ganz spezifische Fremde sind.

Ist Antisemitismus einfach eine Art von Rassismus?

Nicht ganz. Der Antisemit fühlt sich von Juden tatsächlich verfolgt. Er erwehrt sich der von ihm verfolgten Objekte – ein solches Verb benutzt auch Hitler in „Mein Kampf“. Man findet hier eine Kontinuität mit dem christlichen Antisemitismus. Der Rassist wendet sich dagegen nach „unten“, gegen tatsächlich oder vermeintlich Schwache.

Was kann man dagegen machen?

Man muss früher beginnen, pädagogisch nach den Gründen zu suchen, und sich auf die Akteure der Diskriminierung konzentrieren.

Interview: ANNA DOTTI

„Rassismus als pathische Projektion?“, Vortrag und Diskussion mit Andreas Peham: 20 Uhr, Rote Flora, Achidi-John-Platz 1

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