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heute in bremen„Wir sollten nicht so streng sein“

Foto: privat

Carolin Wiedemann37, ist Autorin und Journalistin, arbeitet als promovierte Soziologin an der Humboldt-Universität in Berlin. Ihr Buch „Zart und frei. Vom Sturz des Patriarchats“ erschien im Januar.

Interview Eiken Bruhn

taz: Frau Wiedemann, Sie zeigen in Ihrem Buch, warum sich der Sturz des Patriarchats für alle Menschen lohnt. Auch für jemanden wie … sagen wir: Friedrich Merz?

Carolin Wiedemann: Ja, auch für eine Person, die in dieser Gesellschaft als Mann sozialisiert wurde und von klein auf unter Druck gesetzt wurde, sich zu beweisen und durchzusetzen. Auch diese Person muss einem ganz bestimmten Raster entsprechen, dem des starken Mannes, und hat keine Chance, Eigenschaften zu entdecken, die dort nicht hinein passen, weil sie nicht zum konkurrenzorientierten kämpferischen Macker passen.

Aber wie würde so jemand vom Queerfeminismus profitieren, wie es in der Ankündigung für das Gespräch mit Ihnen heißt?

Der Queerfeminismus hat das Potenzial, die Menschen vom Korsett des patriarchal-kapitalistischen Geschlechtermodells mit seinen binären Zuschreibungen zu befreien. Ich nenne das in meinem Buch die Zartheit, die zu einer Solidarität führt. Denn es ist klar, dass es nicht mehr so weiter geht mit der systematischen Privilegierung einiger weniger Menschen, vor allem weißer Cis-Männer der Oberschicht. Dazu sind die queerfeministischen und antikapitalistischen Bewegungen zu stark geworden.

Aber die Gegenbewegung nimmt auch ganz schön an Fahrt auf, oder?

Ja, das Erstarken der antifeministischen Bewegung, die an der alten patriarchalen Ordnung festhält, beschreibe ich in meinem Buch. Am gefährlichsten ist die Verbindung von Rechten und Lebensschützern. Das sind völkische Kräfte, denen es darum geht, dass sich „das deutsche Volk“ reproduziert, dazu brauchen sie die binäre Geschlechterordnung.

Sie schreiben auch über linke Geg­ne­r*in­nen des Queerfeminismus.

Ja, aber ich stelle diese nicht auf die gleiche Stufe mit den Rechten. Ein gutes Beispiel ist das aktuelle Buch von Sahra Wagenknecht: Sie wertet diese Kämpfe ab und behauptet, es gehe um Minderheiten. Das ist der Fehler, den solche Pseudolinken machen. Sie verstehen nicht, wie Sexismus, Rassismus und die kapitalistische Klassengesellschaft verwoben sind.

Nämlich wie?

Ganz vereinfacht gesagt, gründet sich unser bürgerlicher Nationalstaat auf die binäre Geschlechterordnung, die es vorher so starr gar nicht gab. Erst mit der Aufklärung wurden Unterschiede zwischen den Geschlechtern naturwissenschaftlich begründet und daraus Rollen abgeleitet, die wiederum das kapitalistische System, das sich mit der Industrialisierung heraus bildete, am Laufen hielten. Frauen waren von Natur aus für die Reproduktionsarbeit zuständig und produzierten deutsche Nachkommen, während sie gleichzeitig die Arbeitskraft des Ehemannes aufrecht hielten.

Online-Gespräch über den Sturz des Patriarchats: 19 Uhr, Link auf www.boell-bremen.de

Aber diskriminiert wurden Frauen vorher auch schon und in der Aufklärung wurden ja auch die Rechte der Frau deklariert.

Das stimmt. In der frühen Phase der französischen Revolution zum Beispiel kämpften Frauen und Männer Seite an Seite für Menschenrechte. Aber in dem Moment, in dem sie definiert wurden, wurden Frauen von der Nationalversammlung ausgeschlossen.

Zurück zum heutigen Queerfeminismus. Ich tue mich schwer damit, auf das Subjekt Frau zu verzichten und zum Beispiel von „Menschen, die schwanger werden können“ zu schreiben. Warum sollte ich das tun?

Das kommt auf den Kontext an. In dieser Formulierung werden trans* Frauen wieder ausgeschlossen. Zur generellen Frage nach geschlechterinklusiver Sprache: Ich glaube, wir sollten nicht so streng sein und einander Zeit geben, uns umzugewöhnen.

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