piwik no script img

heute in bremen„Mich erschreckt das immer noch“

Bernd Windmüller

68, Sozial­pädagoge, hat von 2008 bis 2016 das Isenberghaus in der Kornstraße geleitet.

Interview Eiken Bruhn

taz: Herr Windmüller, haben Sie erlebt, dass sich Menschen die Ausstellung angesehen haben und Ihnen sagten, sie seien ehemalige Heimkinder oder deren Nachkommen?

Bernd Windmüller: So direkt nicht. Aber im Zuge der Aufarbeitung der Bremer Heimunterbringung am runden Tisch ab 2009 haben sich ehemalige Bewohnerinnen gemeldet, die in den 60er- und 70er-Jahren im Isenbergheim gelebt haben. Und während einer Führung hat sich ein Mann gemeldet, der 1938 im Ellener Hof als Sechsjähriger gelebt hat.

Welche Reaktionen haben Sie erlebt?

Viele waren sehr betroffen zu erfahren, was die Kinder und Jugendliche erlebt haben und wie viele Menschen in dieser Zeit gedacht und gehandelt haben: „Sichten und Sieben“, das war so etwas, was den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Heimen und Jugendämtern auferlegt war, und viele haben das dann eben auch gemacht, die haben entschieden, was „unwertes Leben“ ist, haben geprüft, ob ein Erbgut so geschädigt ist, dass ein Mensch sich nicht mehr fortpflanzen können sollte. Wissen Sie, ich habe darüber schon so oft gesprochen und ich erschrecke mich immer noch, wenn ich diese Formulierungen gebrauche.

Für einige dieser Kinder und Jugendlichen, die „herausgesiebt“ wurden, weil sie den Nazis nicht in ihr Rassenkonzept passten, wurden auch Stolpersteine verlegt.

Ja, zum Beispiel für Mariechen Franz, eine Sinti-Angehörige, die im Marthasheim in der Osterstraße gelebt hatte und 1944 mit 17 in Ravensbrück ermordet wurde.

Ich stand neulich mit einem Sechsjährigen vor einem anderen Stolperstein, der an ein ermordetes Heimkind erinnerte. Er fragte mich, was auf dem Stein steht und mir fehlten die Worte. Weil es um ein Kind ging und um eine Heimgeschichte und ich nicht wollte, dass er Angst vor Kinderheimen bekommt. Was hätten Sie ihm gesagt?

Ja, wie erklärt man Kindern solche Greuelgeschichten? Die müssen erzählt werden, aber wenn Sie mich jetzt so fragen: Ich hätte es auch nicht gewusst. Die Ausstellung wird ab der neunten Klasse empfohlen, das erscheint mir sinnvoll. Man kann an einer Hörstation Aufzeichnungen hören, die Neuntklässler eingesprochen haben. Sie haben Briefe von Jungen aus dem Heim an ihre Eltern verlesen, die die Heime aber nie abgeschickt haben. Das war eine Praxis, die es in den 50er-Jahren noch gab. Ja, wie erklärt man so etwas einem Kind?

Führung durch die Aus­stel­lung über die Heim­er­zie­hung von 1933 bis 1945, Kaisen-Oberschule, Valckenburgstr. 1–3, 17 Uhr; Anmeldung unter ☎0176-45 71 98 13

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen