heute in bremen: „Einschränkun-gen werden nur noch ungern eingehalten“
Interview Alina Götz
taz: Herr Werner, die Diskussion heute läuft unter der Veranstaltungsreihe „KEINE PANIK – wir wachsen weiter.“ Ist der Titel Ironie?
Jens Werner: Nein, das ist durchaus ernst gemeint. Es geht uns allerdings nicht um Wirtschaftswachstum, woran bei dem Begriff in unserer Gesellschaft vorrangig gedacht wird, sondern um das persönliche Wachstum, was auch viel mit Bildung zu tun hat.
Inwiefern?
Uns geht es darum, eine Vorstellung für das gute Leben für alle zu entwickeln, und das ist aus unserer Sicht auch ein Prozess kultureller Bildung. Wir wollen mit den Veranstaltungen zum Denken anregen: Was ist eigentlich wichtig im Leben – sich individuell zu bereichern und Besitz zu vermehren? Oder geht es darum, die Zukunft auch für nachfolgende Generationen zu erhalten, also die Umwelt und die Mitmenschen entsprechend zu behandeln?
Was verstehen Sie denn unter gutem Leben für alle?
Ein gerechtes Leben, in vielfachem Sinne. Die gerechte Verteilung von Bildungschancen, globale Gerechtigkeit. Wir haben eine Schieflage zwischen globalem Norden und Süden. Auch Geschlechtergerechtigkeit ist ein zentrales Thema. Nach wie vor sind Frauen in vielen Bereichen schlechter gestellt als Männer.
Das ist ja sehr aktuell.
Genau, im Zuge der Coronakrise sind viele Missstände wieder sichtbar geworden. Im Pflegebereich, sei es im Krankenhaus oder in Pflegeheimen. Da wurde deutlich, dass durch die Privatisierung, die in diesem Bereich stattgefunden hat, eine gute Versorgung und gute Arbeitsbedingungen nicht gewährleistet werden können und die personelle Ausstattung sehr knapp ist. Und in diesen Berufen arbeiten überwiegend Frauen.
Diskussion „Wachstum und Lebensqualität nach Corona“, m. Davide Brocchi, Sozialwissenschaftler, Charlotte Hitzfelder, Politologin, Folke Köbberling, Künstlerin 19 Uhr, Schlachthof, Livestream: Radio Weser.TV
Warum ist die große Debatte darüber und auch das viel kritisierte, aber immerhin solidarische Klatschen auf Balkonen dann schon wieder vorbei?
Ich glaube, dass für viele Menschen doch im Vordergrund steht, möglichst schnell zur sogenannten Normalität zurückzukehren, also Urlaubsreisen und Ausflüge ungehindert machen zu können. Die Einschränkungen werden nur noch ungern eingehalten. Es zählt, wie der individuelle Nachteil ist, den man hinnehmen muss – und nicht, wie die Situation für andere ist.
Können sich in dem von Ihnen angesprochenen kapitalistischen System die Arbeitsbedingungen in der Pflege überhaupt signifikant ändern?
Nein. Das ist ja unser Hintergrundgedanke: Es braucht einen sozial-ökologischen Wandel. Deswegen haben wir heute und zu anderen Terminen auch Menschen eingeladen, die entsprechende Konzepte in unterschiedlichen Zusammenhängen entwerfen.
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