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heute in bremen„Es ging um die Frage, wie deutsch sind diese Spieler“

Foto: Martin Lindner/wikimedia

Dietrich Schulze-Marmeling, 61, Sach-, besonders Fußballbuchautor. Zuletzt erschienen: „Der Fall Özil“.

Interview: Benno Schirrmeister

taz: Herr Schulze-Marmeling, wie haben Sie auf das Foto von Mesut Özil mit Recep Erdoğan reagiert?

Dietrich Schulze-Marmeling: Ich war empört und enttäuscht, wie er sich von der AKP hat instrumentalisieren lassen. Die Kritik daran finde ich auch völlig legitim.

Aber?

Es entstand schnell der Eindruck, dass es bei der Empörung, die da so lautstark vorgetragen wurde, meist nicht um die türkische Politik ging. Man hätte wahrscheinlich große Mühe gehabt, diejenigen, die für das gellende Pfeifkonzert beim Auftreten von Gündoğan und Özil beim Fußballländerspiel sorgten, zu mobilisieren, um am nächsten Tag bei einer Demo gegen die Inhaftierung von Journalisten und Menschenrechtlern in der Türkei mitzulaufen.

Hat das auch mit der Ablehnung des Stils von Özil zu tun?

Es gibt bei den Fans ein Unbehagen über diese Spielweise, die auch mit dem Namen von Bundestrainer Joachim Löw verbunden ist: Özil verkörpert ein schönfüßiges Spiel, das als Gegenentwurf zum Fußball der sogenannten „deutschen Tugenden“ gilt. Und es ging in der Öffentlichkeit sehr bald vor allem um die Frage, wie deutsch sind diese Spieler, wie stark identifizieren sie sich mit der Nationalmannschaft?

Die Kritik war also Ventil für Ressentiments?

Bei anderen Spielern und Funktionären wird jedenfalls nicht gefragt, wie sehr sie sich mit dem Nationalteam identifizieren.

… oder mit welchen Diktatoren sie sich treffen.

Das stimmt: Es ist offenbar etwas anderes, wenn Lothar Matthäus mit Victor Orbán oder Putin auftritt, als wenn Özil mit Erdoğan posiert.

„Nun übertreib‘ mal nicht“ – Özil, Me Two und die Folgen: Diskussion über Rassismus im Sport, Obere Rathaushalle, 19 Uhr

War der Fall Özil ein spontaner Ausbruch von Alltagsrassismus?

Nein, ich glaube, dass sich das länger aufgebaut hat. Bei der WM 2014 gab es einige, die nicht glücklich darüber waren, dass Migrantenkinder in der Nationalmannschaft mitspielen – insbesondere nicht die sogenannten Deutsch-Türken. Der Fall hat mit der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung zu tun, der Diskussion um Integration und der wachsenden Ablehnung von Migration.

Haben Sie eine Idee, warum DFB, Bundestrainer und Nationalspieler in ihren Statements zum Fall Özil beharrlich beteuern, es gebe in der Mannschaft doch gar keinen Rassismus – obwohl Özil den Vorwurf nie erhoben hatte?

Dafür gibt es mehrere mögliche Erklärungen: Vielleicht haben die Betreffenden Özils Rücktrittserklärung gar nicht gelesen. Oder man dementiert etwas, was nicht behauptet wurde, um sich mit dem, was tatsächlich gesagt wurde, nicht auseinandersetzen zu müssen.

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