heute in bremen: „Heimatbegriff nicht Rechten überlassen“
Susanne Gläß, Jahrgang 1957, ist Musikdirektorin an der Uni Bremen und die musikalische Leiterin vom Rudelsingen.
Interview Klaus Wolschner
taz: Frau Gläß, was ist Rudelsingen?
Susanne Gläß: Das gibt es zum Beispiel im Modernes. Da gibt es regelmäßig Veranstaltungen, in denen auf der Bühne berühmte Songs gesungen werden und der Saal singt mit, aus voller Kehle.
Gibt es nicht seit Jahrzehnten eher den Trend, Musik nur noch als perfekte Aufnahme zu hören statt selbst zu singen?
Man sagt das immer. Ist das wirklich so? Wenn ich sehe, wie stark der Chorverband in Bremen ist, die Kirchenchöre, der Uni-Chor oder etwa der Raths-Chor, dann bezweifle ich das. Und dann das Karaokesingen, man darf das nicht unterschätzen. Viele Menschen kennen sehr viele Songs einfach dadurch, dass sie permanent Musik hören. Auch das Genre Singer-Songwriter floriert. Parallel zu allen kommerziellen Angeboten.
Heute laden Sie nun zum gemeinsamen Singen auf dem Marktplatz ein. Wieso eigentlich um 10 Uhr, da arbeiten doch die meisten Menschen.
Das ist zwar schade, aber wir haben uns nun mal für den 1. Juni entschieden, weil das der Tag ist, an dem 1646 die Bremer Freiheit mit dem Linzer Diplom begründet wurde. Im nächsten Jahr wird das Rudelsingen, wenn es dann wieder stattfindet, auf einen Samstag fallen. In zwei Jahren auf den Pfingstmontag.
Und was passiert da heute?
Der Marktplatz wird voll sein mit Menschen, die die elf Lieder über Bremens Geschichte von dem Projekt „Bremen so frei“ singen, die im vergangenen Jahr von Imke Burma getextet und von den Brüdern David und Nicolas Jehn vertont wurden. Man kann die Lieder im Internet unter www.bremen-so-frei.de anhören und auch die Texte herunterladen.
Rudelsingen: „Bremen so frei“: 10 Uhr, Marktplatz
Einige Schulklassen haben sich auch zum Rudelsingen angekündigt – was gefällt den Kindern besonders?
Renner bei den Kindern scheint das Lied „Frösche Quaaken“ zu sein. Aber auch das Lied „Bremer Düne“ kommt gut und erstaunlicherweise auch der musikalisch komplizierte „Stadtwerdungsblues“.
Und was bewegt die Erwachsenen?
Ich glaube, die Liebe zu Bremen. Das klingt pathetisch. Aber ist es nicht toll, auch mal das zu feiern, was gut ist? Ich möchte den Heimatbegriff nicht den Rechten überlassen. Auch wenn wir einiges zu meckern haben – wir leben gern in dieser Stadt. Wir sprechen Menschen an, die gern mal singen und die mit uns feiern wollen, was gut ist. Die Melodien sind eingängig und können schnell mitgesungen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen