heute in bremen: „Das Ideal der Homogenität ist aufgehoben“
Oliver Vrankovic, 38, arbeitet als Pflegehelfer in Ramat Gan in Israel. Er ist freier Journalist, Reiseleiter und betreibt den Blog derkichererbsenblog.com.
Interview Jean-Philipp Baeck
taz: Herr Vrankovic, was ist das für ein Heim, in dem Sie in Israel als Pflegehelfer arbeiten?
Oliver Vrankovic: Das Heim liegt in der Stadt Ramat Gan und wurde für Juden gegründet, die in den 1930er-Jahren aus Deutschland geflüchtet sind und zu Mitbegründern des Staates wurden. Lange Zeit war die Muttersprache Deutsch eine Bedingung für die Aufnahme.
Und heute?
Wegen des demografischen Wandels leben mittlerweile auch andere Einwanderer in dem Heim, darunter viele Holocaust-Überlebende aus Osteuropa. Heute bin ich vom Personal der einzige, der noch deutsch spricht und mit mir arbeiten dort Juden, deren Eltern aus Nordafrika, Weißrussland, Russland, dem Kaukasus oder Zentralasien eingewandert sind.
In Ihrem Vortrag nehmen Sie das Heim als ein Beispiel für die multikulturelle Einwanderungsgesellschaft Israels.
Viele Bewohner, die aus Deutschland flohen, haben mir von riesigen Problemen erzählt, die sie damit hatten, sich in das jüdische Gemeinwesen zu integrieren. Sie waren liberal, die israelische Gesellschaft hingegen von osteuropäischen Juden geprägt, die sozialistisch waren. Die Einwanderer wurden angehalten, sich anzupassen und haben sich dem verweigert.
Wie hat das ausgesehen?
Sie haben sich als Gruppe ihre Kultur bewahrt, etwa Kammermusik gemacht, um eine deutsche Häuslichkeit nachzuspielen. Vielen fiel es schwer, hebräisch zu lernen. Dieses Prinzip hat sich bei den vielen anderen Einwanderer-Gruppen, etwa aus arabischen Ländern, wiederholt.
Vortrag „Die letzten Jeckes. Juden aus Deutschland und die Einwanderergesellschaft Israel heute“: 19.30 Uhr, Sozialer Friedensdienst Bremen, Dammweg 18-20
Wie sieht der heutige Umgang aus?
Mit der Zeit hat dieser Multikulturalismus eine Aufwertung erfahren und das Ideal von der Homogenität der Gesellschaft ist aufgehoben.
Dem steht heute eine Politik Israels gegenüber, die Flüchtlinge rigoros abschieben will.
Das ist ein anderes Thema. Juden haben ein gesetzlich verankertes Rückkehrrecht. Die Flüchtlinge hingegen suchen Schutz. Über den Umgang mit ihnen läuft eine sehr kontroverse inner-israelische Diskussion – darum, welche Schlüsse aus der Geschichte Israels als einem Land von Flüchtlingen gezogen werden sollten.
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