heute in bremen: „Behörden an Verfolgung beteiligt“
Interview Jean-Philipp Baeck
taz: Herr Ayaß, welchen Umfang hatten die Zwangsmaßnahmen gegen soziale Außenseiter im Nationalsozialismus?
Wolfgang Ayaß: Die Maßnahmen waren sehr vielfältig. Etwa 20.000 Männer und 5.000 Frauen kamen als sogenannte „Asoziale“ in KZs. Unter dem Sammelbegriff „asozial“ wurden Bettler, Landstreicher, Prostituierte oder auch „asoziale Großfamilien“ subsumiert.
Was war die ideologische Grundlage der Verfolgung?
Zunächst war es die althergebrachte Ausgrenzung der sozialen Unterschicht, die im Nationalsozialismus „rassehygienisch“ überformt wurde. Das heißt, abweichendes Verhalten wurde mit einer „minderwertigen“ Erbmasse begründet.
Welche Rolle spielten die Behörden?
An der Verfolgung der „Asozialen“ war keine Behörde federführend, sondern sehr unterschiedliche Behörden beteiligt: einerseits die alten Wohlfahrtsbehörden, die Gesundheitsämter, die Arbeitsverwaltungen und andererseits die Polizei – in Form von Gestapo und vor allem der Kriminalpolizei.
Inwiefern unterscheiden Sie die Verfolgung der Sinti und Roma?
Vortrag und Diskussion über „Zwangsmaßnahmen gegen soziale Außenseiter*innen im Nationalsozialismus“, 18 Uhr, Zentralbibliothek, Am Wall 201
Die Verfolgung der Sinti und Roma, damals unter dem Begriff „Zigeuner“, war über weite Strecken anders angelegt. „Zigeuner“ galten als „asoziale Rasse“. Sie wurden familienweise in Vernichtungslager deportiert. Die Verfolgungsapparate unterschieden sich und liefen anders ab.
Wie groß sind für Sie die heutigen ideologischen Kontinuitäten zu der Verfolgung von „Arbeitsscheuen“ und „Asozialen“ im Nationalsozialismus?
Darüber kann und muss man diskutieren. Ich meine aber, man sollte die These einer Kontinuität nicht überbeanspruchen und muss aufpassen, dass man den Mord im Nationalsozialismus nicht verharmlost.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen