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heute in bremen„Sanktionen fehlen völlig“

Karl-Martin Hentschel, 67, Mathematiker, Autor und Politiker, von 1996 bis 2009 Mitglied der Grünenfraktion im Landtag Schleswig-Holstein, mittlerweile vor allem im Netzwerk Steuergerechtigkeit aktiv, bei attac und bei Mehr Demokratie

Interview: Benno Schirrmeister

taz: Herr Hentschel, sind die Paradise-Papers nicht Schnee von gestern?

Karl-Martin Hentschel: Kein bisschen! Die Steuerumgehung ist ein Problem, das heute passiert. Es hat sich fast nichts gebessert.

OECD-Chefin Gabriela Ramos behauptet, dem sei ein Riegel vorgeschoben worden…

Von wegen! Wahr ist, die G20 hatten 2013 beschlossen, etwas gegen diese Steuervermeidung zu unternehmen, und diesen Auftrag dann an die OECD weitergereicht. Die hat in der Folge einen 15-Punkte-Plan aufgelegt, das ominöse BEPS, also das Base Erosion and Profit Shifting-Programm.

Und das hilft nicht?

Einerseits sind die meisten der Maßnahmen freiwillig und Sanktionen fehlen völlig. Andererseits ist der Teil der BEPS-Maßnahmen, die neue gesetzliche Regelungen vorsehen, oft mangelhaft ins nationale Recht eingegangen.

Aber immerhin soll es jetzt doch einen Country by Country-Abgleich geben?

Ja, den gibt's – aber höchst unvollständig: Die USA zum Beispiel werden ihre Daten nicht offen legen. Und umgekehrt wollen mehrere Entwicklungsländer ihre Daten in Deutschland einsehen. Die bekommen sie aber nicht.

Welche Rolle spielt Deutschland dabei?

Eine eher unrühmliche, auch wenn Deutschland selbst kein Betroffener von Unternehmen auf den Bermudas ist. Auf dem Steuergerechtigkeitsindex hat sich Deutschland jedenfalls nicht verbessert. Und politisch hat es die notwendigen Maßnahmen auf europäischer Ebene verhindert.

Welche?

Die Einführung eines einheitlichen Steuersystems in der EU und vor allem ein einheitliches Verfahren, wie mit Konzerngewinnen umzugehen ist.

Was meinen Sie konkret?

Vortrag und Diskussion: Paradise-Papers – es ist ein Kraut gewachsen gegen Steuerflucht, 19.30 Uhr, Villa Sponte, Osterdeich 59 B

Es geht darum, dass die Gewinne dort zu versteuern sind, wo sie gemacht werden, und nicht dort, wohin sie verschoben werden. Klassisches Beispiel ist ein Konzern wie Google, der seinen europäischen Sitz in Irland hat und seine Gewinne über einen Zwischenschritt in den Niederlanden an eine Firma auf den Bermudas verlagert: Bei der arbeitet kein Mensch. Aber sie ist im Besitz des Algorithmus für Europa. Ein anderes Beispiel ist Ikea: Die Milliardengewinne werden nach Liechtenstein in eine Stiftung verschoben, die nur einen Pauschalsatz von 1.200 Schweizer Franken abführt.

Dann hat Wolfgang Schäuble Recht, wenn er den Kampf gegen diese Steuervermeidung als einen gegen eine Hydra beschreibt?

Nein. Der Kampf scheitert nicht, weil er aussichtslos wäre, sondern am fehlenden politischen Willen. Schäuble hat als Finanzminister alle Versuche von Justizminister Heiko Maas torpediert, ein Transparenzregister einzuführen.

Bloß warum?

Es ist die Angst, etwas gegen die eigene Wirtschaft zu unternehmen: Die machen erheblich Druck im Ministerium. Und sobald erste Entwürfe vorliegen, setzen sich die großen Kanzleien mit den Konzernen zusammen, um neue Schlupflöcher zu finden.

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