heute in bremen: „Es ist ganz normal, so eine Angst zu haben“
Interview Jan Zier
taz: Herr Rehder, Sie sprechen heute über die „Angst vor Räumen“. Was ist das genau?
Henry Otto Rehder: Nach einer seelischen Krise, die ein Mensch durchleben kann, bekommt er Angst selbst vor seinen Lieblingsräumen – um die geht es ja. Das kann seine eigene Wohnung sein, aber auch sein Lieblingslokal. Man fühlt sich dort unwohl, obwohl man schon viele Jahre da gelebt hat oder da seit langem ein und aus gegangen ist. Man hat das Gefühl, vor diesen Räumen Angst haben zu müssen, obwohl die Gefahr gar nicht real ist. Es ist eine psychosoziale Folge der seelischen Krise.
Ist das wie eine Phobie?
Nein, das ist nicht unbedingt pathologisch. Ich habe das selbst mehrfach erlebt, ich hatte mehrere seelische Krisen, bin psychiatrieerfahren und aus gesundheitlichen Gründen vor 30 Jahren zum Rentner geworden – ich bin Stimmenhörer. Ich hatte beispielsweise jedes Mal ein mulmiges Gefühl beim Betreten meiner eigenen Wohnung oder meines Lieblingslokals. Ich musste erneut lernen, diese Räume angstfrei zu betreten. Das ist learning by doing.
Wie sind Sie denn mit dieser Angst umgegangen?
Nach der ersten seelischen Krise meines Lebens war das natürlich noch eine sehr unbekannte Sache. Ich hatte gar keine Ahnung von diesen Dingen. Und damals, vor 30 Jahren, war man auch noch nicht so weit wie heute. Es gab beispielsweise noch keine Genesungsbegleiter, mit denen man über sowas sprechen konnte. Damals konnte ich mich mit keinem austauschen und der Profi hatte im Grunde auch keine Ahnung.
Warum nicht?
Vortrag: „Angst vor Räumen“ von Henry Otto Rehder im Nachbarschaftshaus Nahbei, Findorffstr. 108, 18 Uhr, Eintritt frei
Die Profis haben das Dilemma, das sie nicht nachempfinden können, was ein Mensch erlebt, der eine seelische Krise durchgemacht hat. Ich habe das alles durchlebt – und habe mir dann einfach gesagt: du, Henry Otto, gehst jetzt einfach zu deinem Lieblingsgriechen zum Essen, auch wenn Du davor Angst hast. Ich hab es einfach gemacht! Es bleibt einem nichts anderes übrig.
Heute sind Sie selbst Genesungsbegleiter. Was genau machen Sie da?
Ich spreche mit den betroffenen Menschen, begleite sie und sage ihnen einfach: Es ist ganz normal, so eine Angst zu haben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen