heute in Bremen: „Schwer zu schlagen“
Wahlkampf Kanzlerin Angela Merkel redet auf dem Marktplatz. Ein Linguist erklärt ihre Rhetorik
45, ist Professor für Sprachwissenschaft an der TU Dresden. Sein Fachgebiet ist angewandte Linguistik. Für einen Blog wertete er 280 Merkel-Reden aus.
taz: Herr Scharloth, auf einer Skala von eins bis zehn: Wie groß ist Bundeskanzlerin Angela Merkels Redetalent?
Joachim Scharloth: Nicht sehr groß. Zwischen vier und sechs. Aber sie hat gute Berater und ist lernfähig. Ich halte ihren Redestil für sehr interessant. Sie ist auch redetechnisch eine Marke geworden und hat ihren eigenen Stil ausgeprägt, den sie auch nicht mehr verändert.
Jutta Dittfurth von den Grünen nannte Merkels Redestil mal eine „Sprache des Einlullens“. Wie sehen Sie das?
Man kann Politikersprache aus zwei Perspektiven anschauen: aus Sicht der Politikforschung mit dem Diskursmodell. Das besagt, politische Sprache muss dezent Argumente auf den Tisch legen, Postionen markieren und Identitäten vermitteln. Aus Sicht der wirksamen Rede und dem Marketing dagegen muss Kommunikation mit den verkörperten Werten in Einklang stehen. Das Politikmarketing will ein positives Bild vermitteln.
Klingt so, als wenn Jutta Dittfurth da recht hatte.
Sie hat vermutlich das Diskursmodell im Kopf, das von Konfrontation lebt. Umgekehrt stammt Merkels Kommunikationsstil interessanterweise aus der Zeit der Entstehung der Grünen, er will Informationen und Nähe transportieren. Merkel legt wert auf eine enge Verbindung zum Publikum. Das funktioniert bei Merkel auf der Ebene von Politikmarketing sehr gut.
Wie macht sie das konkret?
Angela Merkel achtet auf Informalität und benutzt zum Beispiel sehr viele Intensivierer – so nennen Linguisten Wörter wie „völlig, total, äußerst, ganz ganz“ –, um Emotionen zu codieren. Sie zielt darauf ab, dass alles wunderbar ist und sehr schön. Andererseits benutzt sie viele alltägliche Füllworte und redet nicht so stark formalisiert, sie hat einen eher mündlichen Stil.
Wenn ich eine Strichliste führen würde, welche Wörter sollte ich zählen?
Es gibt fast schon einen Wettkampf darum, oft „gemeinsam“ zu sagen. Ebenso benutzt sie häufig das Pronomen „wir“, um ein Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Sie will sich um alle kümmern. So kann man Reden bewusst dekomponieren. Da wird genau auf das Wording geachtet – wie in der Werbung.
Lässt sich das nicht entlarven?
Merkel setzt ihren Amtsbonus erfolgreich ein und ist dabei schwer zu schlagen. Aus Sicht der CDU ist es extrem erfolgreich. Und diese Veranstaltungen dienen ja gar nicht dazu, Argumente oder Inhalte zu wälzen. Man will die Marke CDU voranbringen und emotionale Bindungen schaffen: durch Bedächtigkeit und ein sehr gut inszeniertes Gemeinschaftsgefühl. Merkel hat ihren Stil gefunden und verändert nicht mehr viel. Er passt zu ihr. Für ihr Talent ist das gemessen am politischen Erfolg das Maximum.
Was kann man dagegen tun?
Viele halten auch Konfrontation nicht für das richtige Mittel. Ist aber Personalisierung zielführend? Themen in den Vordergrund rücken, könnte helfen, aber das ist in der derzeitigen Medienlandschaft schwer. Interview: gjo
19 Uhr, Marktplatz
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