herr tietz macht einen weiten einwurf: FRITZ TIETZ über die (Tor)Tour im Fernsehen
Hinweg mit der Kiste!
Oft damit geglutäugelt habe ich ja, und Gründe dafür gibt es genug: Endlich mal den Fernseher packen und ihn samt seinen circa dreitausend Scheißprogrammen aus dem Fenster schmeißen, auf dass sich fortan kein TV-Schleim mehr aus seinen kerner-, beckmann - oder auch jauchverseuchten Kanälen in die gute Stube ergieße. Allein, ins Werk gesetzt habe ich diese zweifellos sehr seelenreinigende Tat bisher nicht.
Es ist dies aber auch leichter bebrüllt als getan. Denn man kann ja das kiloschwere, klobige und zudem auch wenig griffige Gerät unmöglich einfach so packen und, zack, eben mal durchs womöglich auch noch geschlossene Fenster pfeffern. So wird’s einem zwar alle paar Tage im TV vorgeführt, in Wirklichkeit geht das so unkompliziert nicht. Da müssen doch erst mal alle Kabel rausgezogen werden: Strom, Antenne, die Verbindungen zum Video und Sat-Receiver, die Audiostecker. Ehe ich dafür hinter mein Gerät geklettert und reingebückt bin in die enge Wandschräge, vor der mein Kasten steht, hat sich die ursächliche Zerstörungswut längst wieder zersetzt. Und selbst wenn ich es schaffte, die verdammte Kiste trotz aller Verkabelungen aus der Schräge zu stemmen, wäre wahrscheinlich gerade das Fenster zu, und durch die stabile Doppelverglasung kriegte ich es sicher kaum durchgewuchtet.
So steht mein Fernseher unversehrt an seinem Platz. Recht häufig ist er übrigens auch in Betrieb. Und das nicht mal nur aus beruflichen Gründen, wie ich vorschieben könnte. Denn durchaus kurzweilig, amüsant und lehrreich ist ja mitunter das Programm. Oder einfach nur erfreulich bewusstseinsbenebelnd, wie man’s hin und wieder braucht, wenn man für ein paar Stunden von täglicher Fron ausspannen und nur mal eben sachte wegdumpfen will.
Kein anderes TV-Programm kann mir diesen Dumpf übrigens angenehmer verschaffen, als eine Live-Übertragung von der Tour de France. Ah, da könnte ich stundenlang vor der Kiste hocken. Nein, es gibt im Fernsehen nichts Entspannenderes wegzugucken als dieses flott und bunt durchs sommerliche Frankreich radelnde Rudel Rennfahrer. Ein permanent sich neu formierender Augenschmaus ist das, den einem die französischen Fernsehleute auch dieses Jahr wieder kredenzten. Ich werde einfach nicht satt davon: Da, die herrliche Landschaft, durch die gerade das peloton jagt, und hier, dieses pittoreske Dörfchen, das soeben von den poursuivants passiert wird. Und wie anmutig schaut erst die Gegend vorne am tete de la course aus. Dazwischen wird in einer Luftaufnahme ein reizendes Landschlösschen serviert oder ein malerischst sich in die Hügel fügendes Gewässer, ehe das Tour-Geschehen schon der nächsten Kurve entgegensummt, dahinter bestimmt erneut ein imposanter Ausblick wartet – doch denkste: erst mal kommt die Werbung. Oder die Nachrichten. Oder ein Fahrerporträt. Oder noch schlimmer: eine Schaltung zu Claudia Neumann, der Radsportfanbeauftragten des ZDF, und einer ihrer nichtsnutzigen Neuigkeiten von der Strecke. Da sei gerade einem Zuschauer der Camping-Stuhl umgefallen, muss sie einmal mehr vermelden – und schlagartig ist all der mich bis dahin so samtig einlullende Dumpf wie weggeblasen.
Dass das für die nächste Tour mal klar ist, Radsportfritzen von ZDF und auch ARD: Eine Etappe muss nichts als rollen, rollen, rollen und nicht dauernd unterbrochen werden von Einspielern, Trailern oder neumanndoofen Streckenreportagen. Sonst werfe ich meinen Fernseher nächstes Jahr doch, dann aber durch die, von mir aus gern auch mehrfach verglaste Scheibe einer eurer gewiss wieder zahllos in Frankreich geparkten Ü-Wagen oder Sprecherkabinen.
Fotohinweis:Fritz Tietz, 43, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.
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