haushaltslügen: Handeln unter Beschuss
Nach wochenlangem Chaos stellte die Bundesregierung gestern ihre Beschlüsse zur Haushaltskonsolidierung vor. Das Gesamtpaket lässt sich dabei einordnen irgendwo zwischen „Es hätte schlimmer kommen können“ und „Lügen haben kurze Beine“. Der Hauptaufreger von gestern war die Spekulationssteuer auf Aktien und Immobilien: Die Haus- und Grundbesitzer sprachen von „Teilenteignung“, die Banken von einer drohenden Verwüstung des Finanzplatzes Deutschland. Mit den vereinbarten Steuersätzen kann jedoch jeder leben. Ab 2005 sollen zusätzliche 650 Millionen Euro pro Jahr in die Bundeskasse kommen. Verglichen mit sonstigen Maßnahmen wie der schon vorher beschlossenen Erhöhung der Rentenbeiträge ist das Kleingeld.
Kommentar von REINER METZGER
Schlimmer ist da schon die Lügerei – oder eher das gekonnte Verschweigen bekannter Tatsachen vor einer Bundestagswahl. Noch vor zwei Monaten wurden vollmundig neue Kindergartenplätze, bessere Schulen und was sonst noch alles versprochen. Nun muss noch Jahre der Gürtel immer enger geschnallt werden. Und eine wirksame Reform von Arbeits-, Gesundheits- oder Rentensektor ist nicht in Sicht. Damit sind die nächsten Sparorgien in den kommenden Jahren sicher, die Selbstfesselung der Politik geht weiter.
Die Opposition beklagt das alles wortreich – dummerweise hat man aber von der Union noch keinen vernünftigen Vorschlag gehört, wie sie den Sozialstaat ins Lot bringen will. Edmund Stoiber vermied in seinem Wahlkampf ebenso peinlich jede Aussage zur Finanzierung seiner Versprechen wie Schröder.
Alles Luschen also in der deutschen Politik? Gemach. Mit der neuen Spekulationssteuer und der faktischen Aufhebung weiter Teile des Bankgeheimnisses werden künftig die kleinen und mittleren Vermögen zur Finanzierung des Staates stärker herangezogen als bisher. Hier wurden bisher in großem Maßstab und ohne Folgen Steuern hinterzogen. Die Reichen und die Konzerne können sich der Besteuerung zwar weiter entziehen, aber ein Anfang ist gemacht. Solche Gesetze können in Deutschland nur in einem scheinbaren Chaos durchgepeitscht werden: Wer Spezialisten und Lobbies zur Beratung hinzuzieht, wird zwischen den gut organisierten Interessengruppen zermahlen.
Es wäre aber zu viel der Güte, Schröder & Co ein glückliches Händchen bei der Bewältigung der Krise zuzugestehen. Neben den Interessengruppen aller Art wurden auch die Wähler veräppelt. Das rächt sich.
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