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hase und igelZu Fuß geht’s schneller

Ein Wettlauf unter Brüdern

Große Brüder sind einfach ein Grauen. Älter, stärker, schneller. Kurz gesagt, immer einen Tick eher da. Überall. Meiner trainiert das auch noch, läuft Marathon, nicht einfach aus Spaß, sondern er will auch noch gut sein. „Leistungsgedanke“, nennt er das. Kleine Brüder können nur mit List gegen halten. Mein Bruder läuft seit fünf Jahren Marathon, ich kenne seit 15 Jahren die BVG. Ein faires Rennen.

9 Uhr, Charlottenburger Tor, die Läufer legen los. Ich jogge die 200 Meter zum S-Bahnhof Tiergarten, leichtes Seitenstechen. Die S-Bahn-Sperrung zwischen Bellevue und Lehrter Bahnhof nehm ich mit links. Kurzer Umweg über Zoo, dann mit dem Regionalexpress zum Alex. 9:23 Uhr, ich liege im Plan, aber mein Bruder ist schon durch. Mit der U 5 zum Strausberger Platz. Trommler feuern die Läufer an. Ein älter Herr mit Bart und Trillerpfeife hält ein Schild hoch: „ULLA“ steht riesengroß darauf. Und: „Wir sind stolz auf dich“. Letzteres aber so klein, dass Ulla anhalten müsste, um es lesen zu können. Zurück zum Alex, dann mit der U 2 Richtung Potsdamer Platz. Sie ist rappelvoll, erste Schweißausbrüche. In der Bahn vier Frauen. Oma, Mutter und zwei Töchter. „Go Daddy Go!“ steht auf ihrem Pappschild, das an einem Teppichklopfer befestigt ist. Ein anderer weiblicher Vierertrupp checkt die Lage. „Wir sollen vor dem Sony-Gebäude stehen, auf der rechten Straßenseite“, erklärt die Mutter den Töchtern nochmals den Winkplan. „Gary“, der laut Pappe seinen „first marathon“ läuft, soll gegen 10:22 Uhr am Potsdamer Platz sein. So langsame Verwandschaft müsste man haben.

Mein Bruder ist hier längst durch. Ich bleibe im Zug bis Gleisdreieck und nehme die Hochbahn zum Kotti. Die kommt zu früh. Ich liege fast zwei Minuten vor meinem Zeitplan. Unter mir quälen sich die Massen bei Laufkilometer 14. Am Kotti streikt die Rolltreppe, mein Guthaben schmilzt dahin. Unten steigt ein Marathon-Läufer in die U 8. Sein Trikot mit der Startnummer trägt er auf links. Er vermeidet Augenkontakt.

Vom Hermannplatz mit der U 7 zum Rathaus Neukölln, der Halbmarathon ist fast geschafft. Es ist es zwar schon 10:26 Uhr, aber ich hab einen Trumpf in der Hinterhand. Langsam angehen, dann schneller werden, hat mein Bruder geraten. Wenn ich jetzt an der Yorckbrücke die S 1 um 10:45 Uhr kriege, schaff ich an der Sundgauer den Expressbus X 11 bis Oskar-Helene-Heim und hätte so die Südschleife locker abgehakt. Von dort mit der U 1 im Schlussspurt käme ich um 11:27 Uhr in der Augsburger Straße an, dann sind es nur noch wenige Meter bis zum Ziel. Kein Problem also, die 2:35 Stunden Traumlaufzeit meines Überbruders zu unterbieten.

Aber die U 7 bummelt. Der „Go Daddy Go!“-Trupp und der ausgestiegene Läufer drängeln sich wieder in mein Bahnabteil, hunderte andere Anfeuerer wollen auch mit, die Abfahrt verzögert sich. Die Fan-Damen bekommen die Zwischenzeiten ihres Helden per SMS aufs Handy. „Er liegt voll in der Zeit“, jubelt die Mutter. Nur die U-Bahn kommt nicht voran. 10:46 Uhr, Ankunft Yorckstraße. Der ausgestiegene Läufer drängelt die Rolltreppe hoch und mischt sich wieder unter die Joggermasse.

Eine unerlaubte Abkürzung bringt mich zur Konstanzer Straße, kaum mehr als zwei Kilometer vor dem Ziel. „Papa, du schaffst sie alle“. „Frank, den ersten kriegst du noch“. Die Pappen meiner Mitfans sind an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Mein Bruder kommt, eine Wahnsinnszeit. „Domi, du bist super!“ schreie ich. „Du schaffst die BVG!“ Manchmal sind große Brüder einfach Helden. GEREON ASMUTH

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