: halt“ oder „ebendt“
■ Am Wochenende besichtigten Wissenschaftler an der Humboldt-Universität das Schlachtfeld unserer wiedervereinigten Sprache
Obwohl, wie der Sprachwissenschaftler Josef Stalin richtig festgestellt hat, die Sprache kein Bestandteil des gesellschaftlichen Überbaus ist, folgt sie doch den Bewegungen an der Basis, nur gemächlicher, nur gradueller. Auch auf dem Terrain der Sprache wird gekämpft, und auf der Verliererseite türmen sich schließlich die Leichen von Begriffen, Redewendungen, Intonationen, Dialektformen.
An der Humboldt-Uni besichtigten dem entsprechend, pünktlich zehn Jahre nach der Wende, die Soziolinguisten unter Federführung des Mannheimer Instituts für deutsche Sprache, das Schlachtfeld der wiedervereinigten deutschen Sprache und zogen am vergangenen Wochenende Zwischenbilanz. Das Ergebnis war teils erschreckend, teils stimmte es versöhnlich. Vor allem war es voraussehbar: Der westdeutsche Standard, also die westdeutsche Umgangssprache hat sich durchgesetzt, die Ossis aber sind mittlerweile gewitzt genug, die Fallstricke zu vermeiden, in denen sie noch in den frühen 90er Jahren bei Bewerbungsgesprächen hängenblieben. Also keine „Zielstellung“ mehr, sondern eine „Zielsetzung“, statt „Strecke“ heißt es nun „Spezialisierung“, statt „Brigade“ eben „Team“. Der Anpassungsprozess kann sogar bereichern. Das überaus beliebte westdeutsche und Westberliner „halt“ (da sind wir halt hängengeblieben) dringt zwar siegreich in das Terrain des Ostberliner „eben“ respektive „ebendt“ vor, kann aber auch mit ihm kombiniert werden. Hierdurch entsteht, wie Norbert Dittmar, Autor der jüngst erschienenen „Sprachmauer“, es formulierte, „symbolischer Mehrwert“.
Prominentestes Opfer des Anpassungsprozesses ist das Berliner Stadtidiom in seiner harten, vollen Ausprägung. Helmut Schönfeld, seit langem einschlägiger Forscher, beobachtete den Rückzug der Stadtsprache in Schule, Unterricht und bei der alltäglichen Konversation. Die empirische Sozialforschung erweist, dass krasses Berlinern gleichgesetzt wird mit proletiger Herkunft, dass sein Gebrauch den Befragten unsympathisch ist, dass es klingt wie aus der Mülltonne gesprochen. Ostberliner Lehrer, vor allem solche, die es in den Westteil verschlagen hat, müssen ständig auf der Hut sein beim Gebrauch von Dialektbegriffen und Lauten mit Signalwirkung. Hingegen erfreut sich die „leichte“ Variante des Berlinischen allgemeiner Zustimmung, etwa wenn der Regierende Bürgermeister von „Tüschvorlage“ spricht und anschließend keine „Selbstkrütük“ üben muss.
Im Abgeordnetenhaus zu Berlin, also in der gehobenen politischen Sphäre, herrscht bei Reden und Debatten die hochdeutsche Standardsprache. Ruth Reiher, die Organisatorin der Berliner „Zwischenbijanz“ hat das Naheliegende auch empirisch erhärtet, dass nämlich bei den Versammlungen der Bezirksverordneten der Uniformierung stärkerer Widerstand entgegengesetzt wird. Au zu o ( det looft nich) und g zu j (Jott sei Dank) sind noch die Regel – freilich nicht in Zehlendorf, wo das Berlinische gänzlich unbekannt zu sein scheint. Wie sehr hier Anpassungsprozesse am Werk sind, erweist der Unterschied zwischen öffentlichem und halböffentlichem (etwa in Interviews) respektive privatem Sprachgebrauch. Die eingeborenen Wessi-Politiker reden immer gleich, die Ossis fallen erleichtert ins gewohnte Stadtidiom zurück. Wechseln wir von der Politik zur Ökonomie, ergeben sich allerdings auch Anpassungszwänge für die westliche Seite. In der Diskussion wurde von Rhetorikseminaren berichtet, wo westliche Weinverkäufern einige Dialektrudimente beigebracht werden, damit sie den Ostberliner Biertrinkern erfolgreich ihre Spitzenprodukte andrehen mögen.
Auf der Ebene einfacher Konversation existiert zwischen Ossis und Wessis ein tiefer Graben, derlaufende Verständigung und dahinterliegendes Verstehen mit entsprechendem Hintergrundwissen trennt. Der Gesprächsanalytiker Ingwer Paul schlug vor, wenn möglich auf Kontexte auszuweichen, wo ohne Handlungszwang geredet werden kann. Am besten einer erzählt, und der andere hört zu. Christian Semler
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