piwik no script img

hain des anstoßesAllergiker

Unter Glas

Es gibt Dinge, über die soll man bekanntlich nicht streiten. Über Geschmack etwa. Aber auch die Kunst gehört zu den Dingen, über deren Sinn oder Unsinn sich Menschen wohl nie werden einigen können. Dies gilt im Speziellen auch für Parlamentarier.

Und dafür muss nicht gar nicht so weit in die Vergangenheit gehen und etwa die heftige Debatte um das im Reichstag installierte Kunstwerk von Hans Haake „Der Bevölkerung“ anführen. Weil die Abgeordneten dafür Erde aus ihrer Heimat rund um einen Schriftzug mit den Worten „Der Bevölkerung“ schichten sollten, war von der Rückkehr der „Blut-und-Boden“- Ideologie die Rede und von einer unzulässigen Aushöhlung des Begriffes des deutschen Volkes. Obwohl das Kunstwerk einst von der Mehrheit der Abgeordneten in Auftrag gegeben wurde, fristet es nun, da die Unterlegenen ihre Mitwirkung verweigern, ein kümmerliches Dasein.

Und nun ist es ein Birkenhain, über den sich die Parlamentarier erbittert streiten. Der liegt in einem Innenhof des Jakob-Kaiser-Hauses und soll das Abgeordnetenhaus „künstlerisch akzentuieren“, wie es in dem „Kunst-am-Bau“-Konzept für das Gebäude heißt. Und war so: „Wie in einem Urwald liegen Birkenstämme und Findlinge am Boden verteilt, von dem junge Birken dem Licht entgegenstreben.“

Nicht mehr lange, wenn es nach den Beschwerdeführern geht. Die allergene Wirkung der Birkenpollen sind es, die die Gemüter erregt. Zu einer Zeit, in der noch keine Polle geflogen und kein Blättchen ausgetrieben ist. „Menschenunwürdig“ sei es, das Fenster für die Zeit der Baumblüte geschlossen halten zu müssen. Wen stört es da, dass die Fenster aus energetischen Gründen sowieso geschlossen bleiben sollten? Dass bereits die Anlage des Hains Geld gekostet hat? Und zwar so viel, dass man in der Bundestagsverwaltung beschlossen hat, die genaue Summe nicht nennen zu wollen. So wird wohl über die Kosten für die Entfernung des Hains geschwiegen werden.

Richten sollen es nun Baukommission, Kunstkommission und Kulturausschuss. Und das kann dauern. Viele Pollen werden geflogen sein. Aber wen kümmert’s? Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Schließlich gibt es eine nächste Legislaturperiode. Das Gedächtnis der Abgeordneten ist – zumindest in solchen Fällen – gut. GABRIELE SCHOLZ

Der Hain des Anstoßes ist heute und morgen beim Tag der offenen Tür im Reichstag zu besichtigen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen