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haarradikalschnitt von JÜRGEN ROTH

Picasso, der Glatzerte, habe eine lebenslange Männerfreundschaft zu einem Friseur unterhalten, trägt mir gerade eine befreundete Redakteurin zu. Das ist so unglaublich und unglaubhaft, dass ich kurz glaubhaft vermelden muss, wie ich kürzlich einen unglaublich mutigen Schritt unternahm.

Mit dem Haupthaar hat es eine besondere Bewandtnis. Es wächst nie so, wie man will. Oder es macht sich vom Acker. Ein befreundeter Wuppertaler Dichter und Maler kämpft seit Jahrzehnten um seine Rockermähne, und ein aufregender Briefwechsel zeugt von den unablässigen Ängsten, die schwindendes Haupthaar verursachen könnte, wenn es denn schwände. Zumindest der Idee des Wuppertalers nach schwindet es unaufhaltsam. Ich kann mich einmal pro Jahr davon überzeugen, dass dem nicht so ist. Doch so sind halt Dichter.

Ich leide ebenso wenig unter Haarausfall. Mein Haupthaar aber ist beherrscht von Anarchie. Kein Schnitt vermochte jemals die vielen „Wirbel“ zu besänftigen. Jahrzehntelang hatte ich den Kurzhaarschnitt verabscheut. Als Kind wies ich den Dorffriseur an, „über den Ohren“ stehenzulassen. Als Jugendlicher und lange danach verweigerte ich den Gang zum Coiffeur zeitweise völlig.

Vor zwei Monaten wurde es mir zu blöd, mit Wachs für „Struktur“ zu sorgen, wo keine hinzubekommen war. Uli, ein Freund aus meiner Stammkneipe, zeigte sich sofort aufgeschlossen. Für ein Weizen würde er es machen. Er verschwand in seine Wohnung neben der Wirtschaft und kehrte wenige Minuten später mit einem schnarrenden Apparat zurück. „Zicke, zacke, ab die Kacke!“, grinste er. „Wo?“, fragte ich. „Drüben“, sagte Uli. Meine Freundin, die mir noch ein männliches Mutbier injiziert hatte, der Langhaarschneider und ich querten die Straße. Wir nahmen Platz auf einer Bank des Alleemittelstreifens. Gegenüber hockten drei Rentnerinnen. „Zwölf, acht oder vier Millimeter?“ – „Vier!“, schrie ich todesmutig, „oder, nein, besser: zwölf.“ Ich kaschierte meine Angst durch eine stockgerade Sitzhaltung. Uli setzte an. Ssssrrrrr. Die ersten Strähnen fielen in den Gehwegkies. „Sieht gut aus“, sagte meine Freundin, als nach zwei Minuten der Hinterkopf freigelegt war. „Das lassen wir so.“ – „Stimmt“, warf Uli ein, „total bescheuert. Aber hip!“ Ein Spiegel war nicht zur Hand. „Los, weiter, bring es zu Ende!“, murrte ich, und Uli mähte wie der Satansschneider persönlich. Seine Maschine surrte mir über die Stirn, und die Damen runzelten sie. Hellhairer Uli war jetzt richtig in Fahrt. Vor und zurück. Fünf Minuten später hatte der hairdresser from hell sein Werk vollendet. „Katastrophal knorke“, lachte meine Freundin. Sie hob zwei Zentner Haarwolle auf und schmiss sie in den Papierkorb neben der Bank. Die Damen klatschten. Vor dem Toilettenspiegel meiner Stammkneipe sah ich einen anderen. Ich war Picassos Radikalhaarideal schon ganz nah.

Als nächstes kommt dann die Glatze. Und die mach ich mir komplett selber. Mit dem Ladyshaver, den man mir zum Geburtstag geschenkt hat, weil der so gut den Bartwuchs bändigen soll. Dazu braucht’s keinen Männerfreund.

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