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großraumdiscoBrautkleid bleibt Brautkleid und Brotkorb bleibt Brotkorb

In ein leer stehendes Kaufhaus in Bremen ist ein Flohmarkt eingezogen, der wie ein Supermarkt funktioniert. Das Warenangebot ist überwältigend

Ein Hut. Ein Stock. Ein Regenschirm. Und noch einer und noch einer! Klamotten und Krimskrams, Regal um Regal um Regal, 500 an der Zahl, alle gleich, alle anders. Hilfe, Hilfe! Viel zu viel für eine Mittagspause.

Wir sind bei Flomio, Deutschlands wohl erstem … ja, was eigentlich? Floh-Supermarkt, sagen die Betreiber. Menschen mieten für 25 Euro die Woche ein Regal und befüllen es mit allem, was sich vielleicht verkaufen lässt. Jeder Artikel bekommt einen Strichcode, Kun­d*in­nen zahlen an einer zentralen Kasse. Aus Dänemark und Finnland kommt das Konzept, jede mittlere Stadt hat dort einen Kirppu-Markt. Die echten Flohmärkte hat das nicht sterben lassen.

Jenseits der Regale, hinter den Grenzen des riesigen Flomio-Areals, ist eine ebenso große Leere. Mancherorts kann man sie betreten und steht im Düsteren, an der Wand Slogans zu Damenmode. Wir sind im ersten Stock des alten Horten/Galeria-Kaufhof/Opti-Wohnwelt-Kaufhauses in der Bremer City. Ganz oben sitzt noch Saturn. Um dahin zu kommen, musste man viele Monate diesen irgendwie unheilvollen Un-Ort mit Rolltreppen durchqueren.

Jetzt also: Secondhand. Dieser Wasserspender, 8 Euro, ob ich den für mein Kleinkind kaufen sollte? Ich prognostiziere stundenlangen Spaß und riesige Pfützen in der Küche. Hm, hm, Entscheidung vertagt. Man kann ja wiederkommen. Selbst getöpferte Schnecken werden für 1,50 Euro verschleudert. Hossa! Die nehm ich doch!

Sekunden später die Einsicht: Auch für 1,50 Euro kann ich mit einer Töpferschnecke wenig anfangen; mir fehlt das Deko-Gen. Die Mischung bei Flomio Mitte November: Klamotten en masse (für die Dame, für den Herrn, für das Kind), Spiele und Spielzeug, etwas Geschirr und Nützliches, Sammlerkram und Tinnef. Bisschen wenig Bücher und Schallplatten, dafür: viel Selbstgemachtes. Etsy to go.

Ausreichend Kurioses ist dabei: Eine Familienpackung Elfenohren für die nächste Elfenparty, ein selbst gebautes Diorama zu einer Szene aus „Die Vögel“, ein Brautkleid mit ganz, ganz viel Tüll (und später noch eins mit weniger). „Da, brauchst du eine Vase?“, fragt ein Teeny-Mädchen ihre Freundinnen. Verschwörerisches Kichern und Giggeln: Die Vase ist ein nackter Männertorso im üppigen Rosenmuster.

Auch sonst ist viel los, ein kleines Gedränge zwischen den Gängen, die Klientel im Durchschnitt ein bisschen bürgerlicher als auf dem Flohmarkt hinterm Bremer Bahnhof. „Es ist ordentlicher hier“, lobt eine ältere Frau (und hat recht). „Man muss nicht verhandeln“, sagt eine Studentin und findet das gut. „Man muss nicht so früh aufstehen“, ergänzt ihr Begleiter. Keine Frage: Das hier ist groß, ein Spiel- und Stöberplatz.

Das leer stehende ehemalige Horten-­Kaufhaus in der Bremer City wurde vergangenes Jahr von der Stadt gekauft. Die Fassade mit den typischen Kacheln ist noch aus den 70er-Jahren.

Fehlt auch was, im Vergleich zum Flohmarkt? Klar. Es fehlt: die Hintergrundgeschichte zum singenden Fisch; die persönliche Anleitung, wie dieses fast antike Vakuumiergerät gepflegt werden will; es fehlt ein Gesicht zur neuen Jacke und es fehlt der Austausch von Erinnerungen und Nerd-Wissen zwischen Verkäufer und Käuferin, zu diesem geilen Konzert oder jener nicen Comicreihe.

Die Kollegin schimpft gerade über diesen Wegfall von Begegnungen, als eine Dame uns anspricht. „Entschuldigen Sie? Sagen Sie, wissen Sie, was das hier heißt?“ Ein paar Tellerchen hat sie in der Hand, oval, mit Goldrand. „Genau das Geschirr hat meine Mutter gesammelt“, erzählt sie, ihr ganzes Leben lang habe die auf immer neue Stücke gespart. Und jetzt also hier die Serviertellerchen, 16 Euro für vier Stück! Nur: Da auf dem Bodenstempel, neben Fürstenberg, da steht doch noch was, ein Bremer Schlüssel und … BFW? BPW? Eine Firma vielleicht?

„Das ist doch schade“, meint meine Kollegin, „aufm Flohmarkt könne man jetzt fragen.“ Eine vierte Frau mischt sich in unsere Runde. „Kann ich Ihnen helfen?“ Reine Magie! Es ist die Verkäuferin des guten Porzellans. Sie wollte mal nach dem Rechten schauen, wie ihr Stand so läuft. Aber nein, leider kennt auch sie den Ursprung von BPW nicht.

Selbst getöpferte Schnecken werden für 1,50 Euro verschleudert. Die nehm ich doch!

Die Magie zerbricht – hier beim leisen Dröhnen der Rolltreppe. Lotta Drügemöller

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