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großraumdiscoDas Teufelsinstrument und die große Verkleidungssause

Zum Konzert traditioneller Musik auf der traditionellen Hardangerfiedel erscheinen – vielleicht – auch NorwegerInnen. Vor allem aber als NorwegerInnen verkleidete HamburgerInnen

Und dann sitzt man vorm Kleinen Saal der Hamburger Elbphilharmonie und wartet auf die NorwegerInnen. Darauf, dass sie in Massen erscheinen zum Konzert der Geigerin Ragnhild Hemsing, die Traditionelles auf der Hardangerfiedel spielen wird. Das ist ein ganz besonderes, archaisches Instrument, das mit seinen neun Saiten eine solche Resonanz erzeugt, als rufe man auf der Hochebene – etwa der Hardangervidda – Götter und Geister herbei.

Mit Norwegen und dem Norwegischen vertraut, hatte man sich ehrlich darauf gefreut, die Diaspora hier zum Konzert versammelt zu finden. Man war sicher, dass viele, wenn nicht alle der – laut Statistik – 750 in Hamburg lebenden NorwegerInnen erscheinen würden. Man war sicher, dass man sie an Sprache, Gebaren und Kleidung erkennen würde.

Und tatsächlich: Alsbald erscheinen an diesem Elbphilharmonie-Abend die ersten in Winterstiefeln, robusten Mützen und Norwegerpullovern, als kämen sie grad vom Schneeschippen rein. Andere – die Gediegeneren – tragen skandinavisch-schlichte, edle Schals und Kleider mit dezent verfeinerten Folkloremustern.

Sehr schön, denkt man, Erwartung erfüllt. Und dann das: Kein einziges norwegisches Wort ist zu hören, ganz im Gegenteil. Alle plaudern lebhaft auf Deutsch übers Skifahren, über Hütten, Nordkap-Kreuzfahrten, Hurtigrouten und ähnlich Touristisches. Am lautesten jene mit den labbrigsten Skischals und den „echtesten“ Norwegerpullovern.

Kann das wirklich möglich sein? Dass sich diese Leute für den Anlass allesamt perfekt als NorwegerInnen verkleidet haben? Aber fürs französische Konzert setzt man doch auch kein Franzosenkäppi auf, das wäre ja kulturelle Aneignung, oder?

Und auch wenn man, karnevalistisch veranlagt, aus Köln stammt und für derlei Mimikry durchaus Verständnis hat, ist man doch arg enttäuscht, kann nicht glauben, dass nur Fake-NorwegerInnen gekommen sind, um die Hardangerfiedel zu hören. Denn die Weisen aus dem südnorwegischen Valdres, die das Trio um Ragnhild Hemsing spielt, sind wirklich virtuos und berührend – mal melancholisch, mal wild tänzerisch. Das führte im 19. Jahrhundert, zu Zeiten der norwegischen Erweckungsbewegung, sogar dazu, dass die Hardangerfiedel als „Teufelsinstrument“ nicht in Kirchen gespielt werden durfte. Vorbehalte gibt es teils bis heute.

Auch das Elbphilharmonie-Publikum bleibt an diesem Abend züchtig und stampft – trotz Aufforderung – zum Tanzlied nicht à la Norvégienne mit den Füßen, sondern tobt nur mal kurz nach dem Maultrommel-Solo des Percussionisten. Auch das Schmunzeln der Leute, als die Geigerin sagt, es sei so „hyggelig“ hier, verrät nichts über etwa anwesendes Norwegertum.

Die Elphi, die Elbphilharmonie Hamburg, wurde im November 2016 fertiggestellt. Das 110 Meter hohe Konzerthaus liegt am rechten Ufer der Norderelbe an der Spitze des Großen Grasbrooks zwischen den Mündungen der Hafenbecken Sandtorhafen und Grasbrook­hafen. Karten für das vielseitige Programm sind oft schwer zu ergattern.

Und dann, man hat die Hoffnung schon aufgegeben, spricht das Paar nebenan ganz kurz – zwischen akzentfreiem Deutsch – zwei Sätze in akzentfreiem Norwegisch. Ein winziger Hauch nur, dann ist es vorbei. War da was, oder hat man sich verhört? Auch beim Verlassen des Saals hernach: kein Norwegisch, nichts.

Lange sinnt man noch über diese Merkwürdigkeit, bis man begreift: Da waren sehr wohl Norweger im Publikum, womöglich sogar viele. Aber man hat in all seiner vermeintlichen Landeskenntnis etwas Wesentliches vergessen: das Janteloven.

Die Hardangerfiedel durfte als „Teufelsinstrument“ nicht in Kirchen gespielt werden. Vorbehalte gibt es teils bis heute

Das ist ein in den 1930er-Jahren entstandener, Skandinavien-übergreifender Verhaltenskodex, der jedes Heraustreten, jede Abweichung von der Gruppe sanktioniert. Das behindert zwar einerseits die individuelle Entfaltung, aber für den Zusammenhalt der Gemeinschaft ist es durchaus sinnvoll, sich als Einzelner zurückzunehmen. Und weil das tief verinnerlicht ist, fällt man eben auch in der Elbphilharmonie nicht auf. Ein in einer Zeit universellen Gesehenwerdenwollens sehr sympathischer Zug. Petra Schellen

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