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grossmann kommt

von HEIKE RUNGE

Der schönste sinnlose Satz der vergangenen Woche fiel bei einem Kreuzberger Schnitzelessen im Feuilletonistenkreis und lautete: „Grossmann aus Israel kommt übrigens Montag nächster Woche nach Berlin.“ Da ich zunächst „Roßmann“ verstanden hatte, schossen mir nacheinander eine Drogeriemarkt-Kette, Kafkas Roman „Amerika“ und Eckhard Henscheids „Roßmann, Roßmann“ durch den Kopf. Aber nichts davon ergab in diesem Zusammenhang irgendeinen Sinn.

Wir rekapitulierten gerade die Debatte um den Politologen Norman Finkelstein aus französischer Perspektive, und obwohl keiner der beteiligten Schnitzelesser Franzose war oder das Buch „Die Holocaust-Industrie“ schon mal angefasst hatte, kamen wir ganz flott voran. Bis zu dem Punkt, als jemand mit vollem Mund den Besuch von Grossmann ankündigte. Ein anderer sagte „ah, ja“ und schien Roßmann also ebenfalls gut zu kennen. Leute, die die Größe und Bedeutsamkeit ihres Bekanntenkreises dadurch anzeigen, dass sie in ihre Erzählungen immerzu die Namen ihrer Freunde einstreuen, die man selbst unmöglich kennen und deshalb auch nicht zuordnen kann, lässt man am besten einfach so drauflosreden. Nachfragen lohnt nicht, weil einem sonst nur noch mehr komische Vornamen an den Kopf geworfen werden. Dass Pia die Ex von Dieter ist, der jetzt das Booking für Sumi macht, hilft einem ja auch nicht weiter.

Komplizierter ist es selbstverständlich, wenn es sich bei den erwähnten Unbekannten um Personen des öffentlichen Lebens handelt, also um Menschen, die man nach Ansicht des Sprechers definitiv kennen und gesehen haben muss. So jemand wie Roßmann eben, der demnächst kommen wird.

Zur Zeit des Kosovo-Krieges waren wichtige Leute, die keiner kannte, ständig in der Stadt. Damals traten kieznah operierende Berliner Kontaktpersonen des jugoslawischen Widerstands beinahe wöchentlich mit Informationen an einen heran: „Dragomir kommt heute Abend zu einer Podiumsdiskussion“ oder „Milena macht hier morgen eine Lesung“. „Kenn ich nicht“, half überhaupt nicht. Dann hagelte es Internetadressen, Handynummern, Namen von Unterstützergruppen und Manifesten, und schon war man in einem gigantischen Diskursnetz intellektueller Globalprominenz gefangen.

„Roßmann?“, fragte ich jetzt. „Ja, Grossmann.“ – „Also nicht Roßmann, sondern Grossmann. Mit Grrr?“ – „Grossmann, genau.“ Und auf Nachfrage, wer das denn genau sei, war zu erfahren, dass Grossmann „Bücher schreibt“, „häufig in der FAZ zitiert“ wird und jetzt „nach Berlin kommt“. Vielleicht aber auch anders heißt, nämlich sich „Großmann“ schreibt. Intimere Angaben konnte der Informant leider nicht machen. Diskurstaktisch wäre das jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen, eine „Das ist ja spannend“-Miene aufzusetzen und zu behaupten, dass Grossmanns zweites Buch enttäuschend war, weil es nur die Thesen des ersten wiederholt: „Ach, der Grossmann! Sag das doch gleich.“ Aber ich sagte nichts dergleichen und würde auch ganz sicher keine einzige Zeile über Grossmann scheiben.

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