grauzone: DANIEL WIESE über selbstständige Taxifahrer
Der Duft der Pappbechers
„Die Tür ist noch nicht zu“, sagt der Taxifahrer. Ich versuche es ein zweites Mal. „Sie müssen die Tür ja nicht gleich kaputtmachen“, sagt der Taxifahrer. Er wendet den Mercedes und jagt die Oranienstraße hoch. „Sie fragen sich bestimmt, warum es hier so gut riecht.“
Neben sich auf der Mittelkonsole hat er einen Pappbecher stehen. „Der Kaffee ist von McDonald’s“, sagt der Taxifahrer. „Bei McDonald’s kriegen Sie den besten Kaffee. Sollte man nicht denken, sieht gar nicht so aus, aber nirgendwo ist der Kaffee besser. Das muss an der Mischung liegen. Immer, wenn ich eine Pause mache, fahr ich zu McDonald’s und hol mir ’nen Kaffee.“
Das Taxi rast über die Jannowitzbrücke. „Ich geh’ sonst eigentlich nicht zu McDonald’s“, sagt der Fahrer. „Nur wegen dem Kaffee, wissen Sie. Die, wie heißt das, die Wings …“ – „Chicken Wings“, sagt meine Begleiterin. „Die Chicken Wings taugen nichts. Die sind beim Burger King viel besser. Also wenn ich Wings will, geh’ ich zum Burger King, nie zu McDonald’s. Aber nicht oft. Wissen Sie, ich ess überhaupt nur wenig Fleisch. Hin und wieder ein Wing beim Burger King, aber sonst eigentlich nichts.“
Über dem Bauch des Taxifahrers spannt sich ein geblümtes Hemd, die oberen Knöpfe stehen offen. „Arbeiten Sie eigentlich selbstständig?“, fragt meine Begleiterin. „Also das Taxi gehört mir, ich steh’ da hinten am Mehringdamm, von da ist es gar nicht weit zu McDonald’s. Also der Kaffee, ich sage Ihnen … Wollen Sie mal probieren?“, antwortet der Taxifahrer und dreht sich um. „Danke“, sagt meine Begleiterin, „da vorne bitte links anhalten.“ – „Wenn Sie wollen.“ Der Taxifahrer scheint gekränkt. „Ich kann hier nicht anhalten.“ Seine Finger greifen wieder nach dem Pappbecher. „Und Sie wollen wirklich nicht?“
Die Ampel schaltet auf Rot, ein Schwall junger Mädchen geht über die Kreuzung. „Manche fahren nachts kreuz und quer durch die Stadt und hoffen, dass sie jemand anhält“, sagt der Fahrer. „Aber die Mädchen da, zum Beispiel, die kommen aus der Straßenbahn.“ Meine Begleiterin hat die Hand schon am Türgriff, aber die Tür geht nicht auf. „Ich fahre Sie zu McDonald’s“, sagt der Taxifahrer. „Ich weiß nicht, was die in den Kaffee reintun. Erst dacht’ ich, es ist Vanille, aber es schmeckt nicht nach Vanille.“
Das Taxi wendet und fährt die Karl-Marx-Allee hoch. Neben uns auf der Rückbank sitzen die Mädchen von der Kreuzung, sie haben Schuluniformen an. „Burger King, Burger King!“, rufen sie und schwenken kleine Fähnchen. „Ich hatte auch mal eine Tochter“, sagt der Fahrer und dreht sich um. „Die wollte auch immer zum Burger King wegen der ...“ – „Chicken Wings, Chicken Wings!“, schreien die Mädchen und werfen den Pappbecher um. Der Taxifahrer bremst scharf, die Schulmädchen haben sich nicht angeschnallt und fliegen durch die Windschutzscheibe. „Das hätte jetzt wirklich nicht sein müssen“, sagt der Taxifahrer und steigt aus. „Schauen Sie sich nur die Ledersitze an! So eine Sauerei.“ Er nimmt den Pappbecher. „Soll ich Ihnen auch einen Kaffee mitbringen?“, fragt er noch und geht dann durch die Nacht, immer auf die Leuchtschrift von McDonald’s zu. „Vielleicht sollten wir uns ein Taxi nehmen“, sagt meine Begleiterin. „Gute Idee“, sage ich.
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