golfkrieg-syndrom: Unbehagliches Schweigen
Noch ein Jahrestag, bei dem es nichts zu feiern gibt. Zehn Jahre nach der siegreichen Militäraktion der von den USA geführten Koalition sitzt Saddam Hussein sicher im Sattel, das irakische Volk hungert, keine der politischen Fragen wurde gelöst.
Und was wurde aus dem Krieg der Worte, der sich damals in Deutschland zutrug, mit der Schlacht zwischen den „Bellizisten“ und den „Pazifisten“, wo Argumente gleich Raketen abgefeuert wurden, an- bzw. abgereichert mit tonnenschwerem moralisch-historischem Sprengmaterial? Viel stärker als der Sechstagekrieg 1967 zwischen Israel und den arabischen Staaten hat die Golf-Intervention gerade die kritische Intelligenz der Bundesrepublik gespalten. In Frage stand: Gebieten es die Lehren aus der deutschen Geschichte, die Invasion der westlichen Mächte zu verurteilen, oder erzwingen sie sie? Machte die Bedrohung Israels eine eindeutige deutsche Stellungnahme notwendig, oder war diese Bedrohung nur Schein, Ergebnis einer politischen Funktionalisierung des Holocaust? Ging es um Großmachtinteressen oder um die Verteidigung des Völkerrechts?
Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER
Es wäre ein Irrtum zu glauben, mit dem Bombardement Jugoslawiens und dem anschließenden Kosovo-Einsatz hätte sich diese Kontroverse erledigt. Das (meist unbehagliche) Schweigen der Protagonisten des Golfkriegsstreits im Frühjahr 1999 beweist überhaupt nichts. Sie schweigen, weil die Kontroverse sich jetzt vor dem je eigenen „inneren Gerichtshof“ abspielt.
Die Kontroverse blieb, doch das Thema hat sich verändert. Dem Golfkrieg lag ja eine eindeutige Aggression nach außen zugrunde, seit dem Kosovokrieg lautet die Frage: Darf, mit UNO-Mandat, miliärisch in die inneren Angelegenheiten eines Staates eingegriffen werden, wenn dessen Führung massenhafte und schwere Verbrechen an den Bürgern verübt? Oder ist die Verteidigung der Menschenrechte nur eine weitere Variante der imperialistischen Ideologie?
Mit der militärischen Intervention von 1991 wurde ein Wechsel ausgestellt, der immer noch nicht eingelöst ist. Ein glaubwürdiger UNO-Internationalismus erfordert selbstständiges Handeln der Weltgemeinschaft, eine Einschränkung des Einflusses der Großmächte, die Reform der von ihnen beherrschten UN-Organisationen, die Stärkung des Generalsekretärs, UN-Truppen zu seiner Verfügung, die Durchsetzung des Gewaltmonopols der UNO. Utopisch? Die einzige realistische Forderung!
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