geschlossene abteilung grüne von WIGLAF DROSTE:
Wenn man sich die Schuhe zubindet, muss man sich bücken. Je tiefer man sich bückt, desto näher kommt man Gerhard Schröder. Der Mann lässt juristische Auseinandersetzungen über die Frage führen, ob er sich die Haare färbe oder nicht. Friseurgesprächsstoff, das ist Gerhard Schröder, das ist sein geistiger Zuschnitt. Die Sozialdemokratie ist froh, dass Schröder sie von den Mühen ihrer Existenz erlöst und sie zum Abklatschverein eines Bild-Populisten degradiert hat. Dumm lebt es sich einfacher.
Das stellten auch die Grünen fest, die sich in Wiesbaden frohlockend von allen eventuell noch vorhandenen Verstandesresten trennten. Joseph Fischer machte ihnen den Führer, nach dem sie sich so sehnten. Wie Schröder ist Fischer ein Populist, der gern vor Populisten warnt. Aus kosmetischen Gründen hatte sich Fischer noch fünf Unterführerinnen und –führer dazugestellt, alle sechs fassten sie sich ständig bei den Händen, sonderten Durchhalteparolen ab und machten La-Ola-Faxen. Dem Stimmvieh gefiel das, es machte mit, und fertig war die allseits gepriesene grüne Geschlossenheit. Es war eine Geschlossenheit, wie man sie in den entsprechenden Abteilungen von Landeskrankenhäusern erleben kann. In euphorischem Wahn gleichgeschaltet, fühlten sich die Grünen einig und gut. Wer seinen Kopf kirchentagskompatibel zurichtet, dem hört man das an.
Auch Jürgen Trittin beteiligte sich uneingeschränkt an der optischen und akkustischen Vollzumutung. So ist das: Wer sich wie Trittin im letzten Sommer zwingen lässt, eine anwanzerische Urlaubspostkarte an die „lieben Bild-Leser“ zu schicken, muss den Eigenrotz auch auslöffeln. Als kommunistischer Gottseibeiuns, als Pappmachéfeind und Watschenmann taugt Trittin nur noch Leuten, denen der Gang durch Volkes Darmwindungen sichtlich leichter fällt als ihm.
In der FAS vom 28. April wird der FDP-Anführer Guido Westerwelle gefragt: „Sie sind Mitteleuropäer, Sie sind Deutscher. Sind Sie Patriot?“ Westerwelle sieht nicht nur aus wie mit Aspik eingecremt, er redet auch so: „Ja. Verfassungspatriot und im besten Sinne europäischer Patriot.“ Wie hätte man sich denn einen europäischen Patrioten im schlechtesten Sinne vorzustellen? Genauso wie Westerwelle? Oder noch ein kleines bisschen schmieriger, wenn das ginge?
Westerwelle, diese im besten Sinne abstoßende Erscheinung, legt noch etwas Wahlkampfpatriotismus nach, nicht den von der europäisch angepinselten Sorte, sondern den ohne Kreide und Verkleidung: „Und trotz Jürgen Trittin füge ich hinzu: Ich habe sogar kein Problem damit, zu sagen, ich bin stolz auf Deutschland und liebe mein Vaterland mit seinen Menschen.“ Wie sich das wohl anfühlt: Sein Vaterland mit seinen Menschen lieben? Macht Guido Westerwelle das 24 Stunden am Tag? Den gerechten Lohn hat er schon empfangen: Er muss jeden Tag Guido Westerwelle sein.
Jürgen Trittin mag sich in der Anfeindung Westerwelles sonnen. Sie ist aber nur das Kampfgeschrei unter Konkurrenten, die gleichermaßen ohne Substanz und Belang sind.
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