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gastbeitrag zur stasi-überprüfung der senatorenMICHAEL CRAMER über die Freiheit der Kritik

Gysi geht zu weit

Die Stasi-Überprüfung der Senatoren ist fast abgeschlossen. Noch vor der Sommerpause will Marianne Birthler, Chefin der Stasiakten-Behörde, die angeforderten Dokumente dem Regierenden Bürgermeister überreichen. Darunter neue Unterlagen über den PDS-Politiker Gregor Gysi. Nur wenn es aus seiner Sicht „politisch geboten ist“, will Klaus Wowereit die Prüfungsergebnisse dem Parlamentspräsidenten mitteilen. CDU, FDP und Grüne forderten wiederholt mehr Transparenz. Gegen die rot-rote Mehrheit aus SPD und PDS aber konnte sich die Opposition nicht durchsetzen. Michael Cramer, Abgeordneter der Grünen, plädiert in der taz für eine konsequente und gerechte Aufarbeitung der Vergangenheit.

Die Frage nach der persönlichen Integrität und Glaubwürdigkeit richtet sich insbesondere in Berlin nicht nur an jene, die in den Bankenskandal, in Vetternwirtschaft und regelwidrige Parteispenden verwickelt waren. Die Frage stellt sich auch an jene, die in der Vergangenheit, in Ost oder West, für die Stasi gearbeitet haben. Oder für andere Geheimdienste. Denn sowohl nach dem Ende der DDR als auch nach den Erfahrungen mit dem Bankenskandal ist die politische und persönliche Glaubwürdigkeit der Politiker von zentraler Bedeutung. Die BerlinerInnen haben einen Anspruch auf Aufklärung. Denn viele unter ihnen litten – und leiden noch heute – an den Folgen der Misshandlungen durch das SED-Unrechtsregime. Auch deshalb darf diese Stadt nur von Menschen regiert werden, die nicht in dieses Unrechtssystem verstrickt waren.

Um der Öffentlichkeit Gewissheit zu verschaffen, sollten sich insbesondere die Senatsmitglieder einer Überprüfung stellen. Als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes ist ihre Überprüfung im Stasi-Unterlagengesetz und im Senatorengesetz geregelt. Die Ergebnisse sollen aber lediglich zu den Personalakten genommen werden. Eine Veröffentlichung ist nicht vorgesehen. Mit unserem Antrag im Abgeordnetenhaus für mehr Transparenz wollten wir Grünen diese Lücke schließen. Denn natürlich hat das Überprüfungsergebnis der Senatsmitglieder eine besondere Bedeutung: Bei nachgewiesener Tätigkeit für das MfS müssen Konsequenzen folgen.

Immer wieder wird der Schlussstrich unter die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit gefordert, ist von „ollen Kamellen“ die Rede. Gegen ein Ende der Stasi-Aufarbeitung spricht jedoch zweierlei: Die Partei, die früher SED hieß, übernimmt 12 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR erstmals Regierungsverantwortung in Berlin. Als SED trug sie für die menschenfeindlichen Praktiken der DDR die Verantwortung. Dazu bekennt sich die PDS heute im rot-roten Koalitionsvertrag. Schon deshalb darf die Überprüfung jetzt nicht innehalten. Zum anderen müssen alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei ihrer Einstellung überprüft werden. Solange diese Praxis besteht, muss sie erst recht für Senatsmitglieder gelten. Das ist ein Gebot der Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz.

Dies gilt auch für Gregor Gysi, den amtierenden Wirtschaftssenator. In den letzten Jahren tauchte im Zusammenhang mit dem Namen Gysi immer wieder der Vorwurf auf, er habe für das MfS gearbeitet. Der Bundestag hat sich in der letzten Legislaturperiode mit diesen Stasi-Vorwürfen ausführlich befasst. Der Immunitätsausschuss des Bundestags hat in seinem Bericht (13/10893) sogar eine inoffizielle Tätigkeit Gregor Gysis für die Stasi „als erwiesen festgestellt“ und konstatiert, dass er „unter verschiedenen Decknamen dem MfS inoffiziell zugearbeitet“ habe. Seine Anwaltstätigkeit für Bürgerrechtler habe er benutzt, „um im Rahmen seiner inoffiziellen Zusammenarbeit dem MfS Informationen über seine Mandanten zu liefern und Arbeitsaufträge des MfS auszuführen“.

In seiner Stellungnahme weist Gregor Gysi darauf hin, dass es dem Ausschuss nicht gelungen sei, die Vorwürfe zu belegen, „weil ich zu keinem Zeitpunkt inoffiziell mit dem MfS zusammengearbeitet habe“. Gegen die Veröffentlichung des Ausschuss-Berichts ist Gysi bis zum Bundesverfassungsgericht gegangen – ohne Erfolg. Der Bericht plus Gysis Stellungnahme ist im Internet abrufbar.

Seitdem sind aber weitere Vorwürfe ruchbar geworden. Der Schriftsteller Lutz Rathenow, ein ehemaliger Mandant, findet in seinen Stasi-Akten einen Vermerk über ein vertrauliches Gespräch mit seinem Anwalt Gysi. Und Marianne Birthler, die Leiterin der Stasiakten-Behörde, ließ nun wissen, dass neue Dokumente über Gysi aufgetaucht seien. Natürlich wissen wir, dass die Grenze zwischen Kontakt und Mitarbeit nicht leicht zu bewerten ist. Wir wissen aber auch, dass inoffizielle Stasi-Mitarbeit nur in Ausnahmefällen zugegeben wird, dass es Grauzonen gibt und sich Vorverurteilungen verbieten. Aber klar ist ebenso: Das, was heute schon über Gysi und die Stasi bekannt ist, führte in anderen Fällen zur Entlassung aus dem öffentlichen Dienst oder zur Mandatsniederlegung. Ich plädiere daher dafür, die Vorwürfe zu prüfen, mit den neuen Erkenntnissen der Birthler-Behörde abzugleichen und das Ergebnis zu veröffentlichen.

Wodurch sich Gysi eklatant von allen anderen Fällen unterscheidet, ist, dass er die Auseinandersetzung über seine Vergangenheit juristisch unterbindet: Jeden, der die Behauptung des Bundestags-Ausschusses wiedergibt, überzieht er mit Klagen. Gysis Unterlassungsklagen richten sich insbesondere gegen den SFB, dem er in der ersten Instanz untersagen konnte, Statements und Originalzitate der „Kontraste“-Sendung „Der Kandidat und seine Vergangenheit“ im Internet zu veröffentlichen. Ich finde, das geht entschieden zu weit. Gysi verbindet seine individuelle Verteidigungsstrategie mit einer Attacke auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Wenn verfassungsrechtlich geschützte Drucksachen des Bundestages nicht mehr wiedergegeben werden dürfen, ist die Meinungsvielfalt beschnitten. Dann herrscht Diskussionsverbot.

Gerade aber Gysi war es, der als Verteidiger von Mauerschützen immer wieder forderte, dass die DDR-Vergangenheit nicht juristisch, sondern nur politisch aufgearbeitet werden sollte. Gysi selbst verlangte immer wieder eine politische Debatte. Nun aber setzt er auf die Justiz, um ein Diskussionsverbot zu erreichen. Wir aber wollen nicht den Mief der vergangenen DDR, sondern eine freie und diskussionsfreudige Gesellschaft.

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