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frankreichSieg des Zerstörers

Der stärkste Politiker Frankreichs ist ein Rechter. Der zweitstärkste ist ein Rechtsextremer. Der sozialdemokratische Regierungschef ist gescheitert. Und die radikale Linke ist auf eine Vielfalt von Kandidaten zersplittert. So lautet das bittere Resultat der Präsidentschaftswahl.

Kommentar von DOROTHEA HAHN

Für Frankreich und für Europa ist dieser Rechtsruck eine Katastrophe. Nie zuvor ist ein erklärter Feind der Republik und ein erklärter Gegner der EU so weit gekommen. Nie zuvor stimmten so viele Franzosen für einen Mann, der das zerstören will, was die Größe ihrer Demokratie ausmacht: Toleranz und soziale Fürsorge. Jean-Marie Le Pen, der eigentliche Wahlsieger, repräsentiert den äußersten rechten Rand des parlamentarischen Rechtsextremismus in Europa. Er propagiert die Todesstrafe, den Ausstieg aus den Europaverträgen und eine Mobilisierung des Militärs gegen die „Aufständischen“ in den Vorstädten.

Jetzt triumphieren die Rassisten ausgerechnet in jenem Land, das die populistischen Tendenzen anderswo in Europa immer am schärfsten kritisiert hat. Die Verantwortung dafür ist auf viele Schultern verteilt. Sicher hat der halbherzige Wahlkampf von Regierungschef Jospin seine eigenen Wähler nicht überzeugt – und so ist die Inflation von Kandidaten links von Jospin nicht die Ursache für sein Scheitern, sondern dessen Resultat. Doch auch Chirac kann nicht ernsthaft seinen Wahlsieg erklären. Nicht nur, dass ein Wahlergebnis von 20 Prozent für einen amtierenden Staatspräsidenten miserabel ist – er ist auch dafür verantwortlich, mit seinem Wahlkampf zur inneren Sicherheit den harten „Lösungsvorschlägen“ der Rechtsextremen zugearbeitet zu haben. Und beide, Chirac wie Jospin, haben den Fehler gemacht, die Front National zu verharmlosen und für wahltaktische Manöver zu nutzen.

Nach der Wahl ist vor der Wahl: Im zweiten Urnengang wird Chirac dank einer großen Allianz gegen den Rechtsextremismus mindestens eine Vierfünftelmehrheit bekommen – alles andere wäre furchtbar. Doch diese Wahl wird tiefe Spuren hinterlassen. Traditionsparteien wie die Kommunisten sind im Begriff, sich aus der französischen Politik zu verabschieden, und in den Wahlkampfapparaten der Sozialisten und von Chirac werden eine Menge Köpfe rollen. Auch der erste Wahlgang, bisher von einer gewissen Unbekümmertheit geprägt, ist künftig bitterer Ernst. Nicht nur der zur Präsidentschaftswahl, sondern auch der zur Nationalversammlung im Juni.

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