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fragen Sie frau carola: umzugsschulden sind ehrenschulden

von CAROLA RÖNNEBURG

In meinem Nebenberuf als Kummerkastentante muss ich mich manchmal wundern, wie viele Fragen für die Menschheit noch offen sind. „liebe frau carola“, mailte mir Frau D., „eine bekannte hat mich eben gefragt, ob ich nächste woche bei ihrem umzug helfen kann. muss ich hingehen?“

Gewöhnlich überdenke ich die Probleme Ratsuchender eine Weile, bevor ich mich äußere. Die Methode hat sich bewährt, wovon Dankschreiben aus aller Welt zeugen. In diesem Fall allerdings antwortete ich bereits mit dem nächsten Postausgang: „Liebe Frau D.! Umzugshilfsbereitschaft zählt zu den wichtigsten Tugenden. Sollten Sie absagen, richten Sie großen Schaden an: Dann fehlt jemand in der Kette zwischen Haustür und zweiter Treppe – alle angetretenen Umzugshelfer sind also zunächst gezwungen, den Möbelwagen auszuladen und am Fuße der ersten Treppe den Hausflur mit Transportgut zu verstellen. Hat aber eine Umzugstruppe diese Aufgabe erst einmal erledigt, bricht in der Folge der Aufbau zusammen. Zum einen stehen nämlich jetzt die Kiste mit den unerhört vielen Schallplatten sowie das sperrige Regal – selbstverständlich wurden sie nur so weit wie nötig in den Flur geschafft – am Ende der Schlange. Zum anderen schleicht sich im Zuge der gemeinschaftlichen Vollstellerei unversehens die Basisdemokratie ein. Wo just noch alle dasselbe taten, mag sich niemand mehr zum Spezialisten für Sperriges erklären oder gar seine natürliche Autorität zum Einsatz bringen und dafür sorgen, dass die verdammten Schallplatten gefälligst die Kette passieren, solange alle noch bei Kräften sind. Es kommt, wie es kommen muss: Die Gruppe verständigt sich unter enormen Zeitverlust darauf, wer wo in welchem Stockwerk Position bezieht, und wenn das geregelt ist, bleibt ganz unten die zarteste weibliche Person übrig und eröffnet die Kette mit der Übergabe eines Seegras-Papierkorbs.

Wären Sie jedoch dabei, ginge alles von leichter Hand. Mit klobigen Fernsehgeräten oder hässlichen Leuchtern oder überquellenden Kleidersäcken zwischen zwei Treppenabsätzen herumzuschlingern – all dies wäre in kürzester Zeit vorbei. Körperliche Erschöpfung vortäuschend, säßen die Staffelschlepper bald beieinander und nähmen einen Schluck vom verdienten Bier, zufrieden und erfüllt. Sie, liebe Frau D., lernten womöglich sogar noch jemanden kennen. So etwas soll vorkommen.

Mein Rat: Erkundigen Sie sich höflich nach Möbel- und Kistenvolumen. Erwähnen Sie, dass Sie ja, Gott sei Dank, nicht erwähnen müssen, wie voll eine Bücherkiste gepackt werden darf. Fragen Sie, wie viele Mitstreiter Sie haben werden, und mobilisieren Sie, falls nötig, Ihren Freundeskreis – Umzugsschulden sind Ehrenschulden. Regen Sie außerdem an, neben dem Wäscheständer auch einen großen Topf Ochsenschwanzsuppe zu verladen.

Ein wohl organisierter Umzug nährt berechtigt die Hoffnung auf die Weiterentwicklung der Zivilisation. Sie gehen also selbstverständlich hin – und verwenden künftig auch bitte wieder Großbuchstaben. Wie es sich gehört.“

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