filmstarts à la carte: Drei Stars für den Preis von einem
■ Als die 20th Century-Fox 1953 mit dem Bibelfilm „The Robe“ das neue Breitwandverfahren CinemaScope vorstellte, blickte die anamorphische Linse, derer man sich dazu bediente, bereits auf eine lange Geschichte zurück. Bereits im ersten Weltkrieg hatte der Franzose Henri Chrétien eine Erfindung gemacht, die es Panzerfahrern ermöglichte, mit ihrem Periskop das Gelände in einem Winkel von 180 Grad zu überblicken. 1927 trat Chrétien mit dem Hypergonar, einer Weiterentwicklung seiner Erfindung für das Kino, an die Öffentlichkeit: Die anamorphische Linse staucht das Bild so zusammen, dass die Aufnahme auf herkömmlichem 35-mm-Film möglich wird; eine entsprechende Linse vor dem Projektor entzerrt das Bild bei der Wiedergabe. Somit verdoppelt sich das Seitenverhältnis im Vergleich zum alten Normalformat auf 2,66 : 1. Doch die Erfindung erwies sich als Flop: Niemand wollte Chrétiens Hypergonar haben. Erst als die amerikanische Filmindustrie zu Beginn der 50er Jahre in eine Krise schlitterte und man händeringend nach einer neuen Publikumsattraktion suchte, wurde das Verfahren wieder interessant. Für Regisseure, Kameraleute und Schauspieler bedeutete das CinemaScope eine nicht unbeträchtliche Veränderung ihrer Arbeitsbedingungen. Da die Kamera jetzt größere Gruppen von Schauspielern in einer Einstellung aufnehmen konnte, mussten die Schauspieler erheblich längere Textpassagen lernen; Versprecher und die Unachtsamkeit von Statisten führten zu häufigen „retakes“. Derweil kämpften die Kameraleute mit der Schärfentiefe; Fahrten und Schwenks zeigten zunächst deutliche Unschärfen an den Rändern. Das Arsenal-Kino zeigt in der kommenden Woche zwei Scope-Filme mit ganz unterschiedlichen künstlerischen Konzepten: Regisseur Jean Negulesco betonte in der Komödie „How to Marry a Millionaire“ vor allem den Theatercharakter des Breitwandformats, das nunmehr von gleich drei weiblichen Stars (Lauren Bacall, Betty Grable, Marilyn Monroe) gefüllt wurde, die sich mit allerlei Hochstapeleien einen reichen Mann zu angeln versuchen. Die wichtigste Rolle spielt der Dialog, die Szenen ähneln in ihrem Ablauf einem Bühnenstück. Otto Preminger nutzt in „River of No Return“ die Neuorganisation des filmischen Raumes, um seinen Protagonisten, einen einsamen Farmer (Robert Mitchum), mit der Natur in Beziehung zu setzten - mit ihren Verlockungen ebenso wie mit den Gefahren. Zudem ist „River of No Return“ auch ein Film über zwei Menschen, die im Verlauf einer aufregenden Reise lernen, wie man die trennende Breite des Scope-Formats überwinden kann.
“How to Marry a Millionaire“ (OF) 2.6. im Arsenal 2; „River of No Return“ (OF) 5.6. im Arsenal 2
■ Eine im Vergleich mit „How to Marry a Millionaire“ erheblich bösere Golddigger-Komödie inszenierte Howard Hawks mit „Gentlemen Prefer Blondes“. Hawks trieb das Image seiner Hauptdarstellerinnen Jane Russell und Marilyn Monroe ins Extrem: Busenstar Russell darf als von Sportlern einer Olympiamannschaft in fleischfarbenen Slips umringte Nymphomanin Dorothy „Is anyone here for love?“ singen, die gierige Lorelei (Monroe) hingegen versteckt ein Diadem so hinter ihrem verlängerten Rücken, dass es, wie François Truffaut analysierte, aussieht, als kröne sie damit ihr “Arbeitsinstrument“. Umgeben sind die beiden ausschließlich von Nullen: hirnlose Muskelprotze, dämliche Millionäre, ein Sugar Daddy mit dem bezeichnenden Spitznamen „Piggy“. Die Protagonisten stolpern von einer infantilen Peinlichkeit zur nächsten - grausamer als in Hawks Komödien wurden die Schwächen der Menschen nie aufs Korn genommen.
“Gentlemen Prefer Blondes“ (OF) 5.6. im Freiluftkino Friedrichshain
■ In Adam Simons Dokumentation „The American Nightmare“ kommen die Veteranen des Splatterfilms der frühen 70er Jahre ausführlich zu Wort: Tobe Hooper, Wes Craven, George Romero und andere mehr erzählen von ihren Beweggründen, die Zeitgenossen mit extremer Gewalt und viel Blut zu konfrontieren. In Romeros Zombie-Filmen erscheinen die gesellschaftskritischen Bezüge offensichtlich, anderes wirkt manchmal etwas überinterpretiert. Die präzise Artikulation der Regisseure überrascht, viel Neues haben sie für Kenner der Materie nicht unbedingt mitzuteilen. Trotzdem: sehr solide.
“The American Nightmare“ 4.6. im Central 2
Lars Penning
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