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fernöstlicher diwanTeamwork gegen überholte Rollenteilung

Der Boss ist gefeuert

Hatte Christian Ziege bis eben nur eine Wurst auf dem Kopf, oder ist er auch eine auf dem Platz? Soll Rudi Völler mit Viererkette verteidigen lassen oder doch lieber mit einem Dreierblock? Und ist Carsten Jancker nicht der falsche Mann neben Miroslav Klose? Auch darüber hat die Fußballnation in den ersten zwei WM-Wochen diskutiert. Aber es blieben Marginalien neben der Frage aller Fragen: Wer ist der Chef im deutschen Team? Genauer: Gibt es überhaupt einen?

Nach dem 1:1 gegen Irland hatte natürlich Franz Beckenbauer den Eröffnungspass gespielt: „Es fehlt der absolute Chef“, jammerte der Chefexperte und setzte damit eine Debatte in Gang, die nicht nur eine urdeutsche ist, sondern durchaus im engeren Wortsinn eine um des Kaisers Bart. Denn egal

DIE WM VON ULRICH FUCHS

Mein Spieler: Oliver Neuville – weil der erstens Jancker und Bierhoff verhindern kann, zweitens damit für fußballerischen Fortschritt steht und drittens den sympathischsten Akzent im deutschen Team hat

Mein Team: Irland – weil da Holland, Matt, mitspielt

Mein Weltmeister: War Frankreich

wie hartnäckig die Altvorderen von Paul Breitner bis zu Günter Netzer, von Lothar Matthäus bis zu Udo Lattek in den so genannten Expertenrunden des Fernsehens in den Zusammenhängen ihrer persönlichen Vergangenheit argumentieren – die moderne Fußballwelt ist längst eine andere geworden. Es gibt nicht mehr die Kreativen hüben und die Schwarzenbecks und Vogts und Höttges drüben; nicht mehr die Feldherren, die den Gang des Spiels befehlen, auf der einen und das die Drecksarbeit erledigende Fußvolk auf der anderen Seite.

Das enorme Tempo des Spiels, die Athletik der Akteure und die damit verbunden taktischen Entwicklungen haben die Hierarchien auf dem Platz flach werden lassen. Der Innenverteidiger, der in der Defensive ohne Absicherung nach hinten agiert und dazu noch das Spiel nach vorne eröffnen soll, trägt nicht weniger Verantwortung als der Mann für den letzten Pass hinter den Spitzen. Und umgekehrt müssen auch die Kreativen mitschuften, wenn es darum geht, dem Gegner den Ball abzujagen. Erstklassiger Fußball ist ausgeprägtes Teamwork. Der deutsche Chef ist tot, spätestens seit Erich Ribbeck und Bild ihn bei der WM 98 mit Lothar Matthäus und den bekannten Folgen noch einmal reanimieren wollten.

Dass sich diese Erkenntnis zumindest auf dem Rasen durchsetzt, ist einer der Gründe, warum das DFB-Team bis dato in Japan und Korea eine durchaus respektable Figur abgegeben hat. „Es ist mir egal“, sagt Michael Ballack, „ob einer sagt: Du bist Chef oder du bist es nicht.“ Das kann es ihm auch, solange er seinen spezifischen Wert für das Team selbst im körperlich angeschlagenen Zustand noch so eindrucksvoll dokumentieren kann wie in der Vorrunde, in der er vier Assists und einen Treffer zum deutschen Weiterkommen beisteuerte. „Wir brauchen keinen Chef, der auf dem Platz die Leute anschreit und Kommandos gibt.“ Das sagt Didi Haman, der bei der Expertensuche nach dem Chef regelmäßig wegen mangelnder Stimmgewalt durchs Raster fällt. Aber auch ohne lautstarke Anweisungen scheint der Liverpooler Mittelfeldmann eine geradezu magische Anziehungskraft auf die Kollegen auszuüben – zumindest hatte er in den Vorrundenspielen die mit Abstand meisten Ballkontakte in der DFB.

„Chefs müssen sich entwickeln“, sagt Oliver Kahn, der dritte designierte Kandidat, „bis dahin muss man eben versuchen, das Ganze im Kollektiv aufzufangen.“ Das scheint der deutschen Mannschaft im Moment ganz gut zu gelingen. Vielleicht sollte nicht nur Oliver Kahn das kollektive Provisorium als Dauerlösung bedenken. Dafür spricht auch das Menetekel des frühen französischen Scheiterns. Auch und gerade weil der amtierende Weltmeister das individuell am besten besetzte Kollektiv und damit mehr Potenzial als alle Konkurrenten besaß, um den Ausfall eines Zinedine Zidane zu kompensieren, aber offensichtlich durch die Fixierung auf den vermeintlichen Chef paralysiert war.

In Deutschland könnte nur das Erreichen des Finales verhindern, dass die leidige Chefdebatte wieder angezettelt wird. Aber selbst das scheint ja nicht mehr unmöglich. Schließlich gibt es noch eine Erkenntnis aus dem laufenden Turnier: Die Kleinen haben deutlich aufgeholt. ULRICH FUCHS

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