piwik no script img

es ist so schön, kein erstwähler zu sein von WIGLAF DROSTE

Richtig leid tun können einem dieser Tage die Erstwähler – dieser Haufen junger Leute, der schwer umworben wird, angegraben und -gebaggert, vollgesülzt und angesabbert von älteren Damen und Herren, die gezielt auf Missbrauch aus sind. Erstwähler können schlecht Nein sagen: Nun darf man endlich, da will man auch. Wer am wenigsten weiß, der hat am meisten Hoffnung – und die kann picobello ausgebeutet werden.

Stark spürt der Jungmensch das dringende Bedürfnis nach Geschlechterverkehr und Gerechtigkeit. Von beidem weiß er gemeinhin nicht viel Näheres, wähnt aber Großes. Nicht selten beginnt das Geschlechtliche mit einer Pleite, um sich dann doch noch erfreulich oder sogar prachtvoll zu entwickeln; manch juveniler Schnellspritzer mausert sich im Laufe der Jahre noch zu einem Freudenspender, und manches frühe Trockendock wurde später zu einem Hafen der Düfte und der Lust. So viel zum Thema Kinder an die Macht.

Genau andersherum verhält es sich mit dem Wählen: Da ist das erste immer auch das einzig aufregende Mal. Ernst und für voll genommen fühlt sich der Erstwähler, wichtig und im Besitz von Verantwortung, er platzt schier vor Bedeutsamkeit und stampft als restlos humorfreie Selbsternstnehmerzone durch die Welt. Tolerabel ist er allein durch seine weichgesichtszügige Naivität und kraft der Gewissheit, dass diese Aufgeblasenheit in den meisten Fällen nur temporär ist. Die aber sichtlich an ihrer Importanz festhalten wollen, die seien geächtet tausendfach, denn sie werden sonst nerven bis zu ihrem Jüngsten Tag.

Weit abstoßender aber noch sind Politiker, die sich auf genau dieses Potenzial werfen, den Jungaffen Zucker geben und ihnen das Märchen von der schönen besseren Welt erzählen, die sie gemeinsam schaffen werden. Bei dieser Sorte Schlickenfängerei sind die Vertreter der PDS gut dabei, denen zwar das Spießertum aus jeder Pore mieft, die aber dennoch mutig mit Rebellentum und Widerstand hausieren gehen. Die anderen Sozialdemokraten, die von der SPD, sind eine Nummer kleiner unterwegs und beschwatzen die politischen Jungfrauen und Novizen, sie müssten nur richtig ankreuzen, dann sei der bayerische Gottseibeiuns verhindert und alles werde gut. Unterstützt wird die SPD darin von einem Publizismus, der von „einem kleinen Wunder“ schwärmt, sich pathetisch peinlich eine Wasserpistole an den ebensolchen -kopf hält und mit politischer Selbstentleibung droht, wenn die anderen Kinder nicht auch alle Rot-Grün wählen. Und die Grünen würden, wenn man sie ließe, sogar 16-Jährige zur Wahl hetzen in der Hoffnung, ihre Pfründen zu behalten. Das Wort dafür ist Populismus mit Kindern oder politischer Päderasmus.

Wie angenehm ist es, nicht mehr im Fadenkreuz dieser Halsabschneider zu sein. Mich umschleimen die Gesundbeter schon lange nicht mehr, und ganz unbelästigt kann ich Demokrat sein, den Wahlzettel nehmen und diagonal drüberschreiben: Wer das wählt ist doof. Und wenn es wirklich einmal etwas zu wählen gibt, kann ich das dann ja tun.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen