eject: SILKE BURMESTER über den Wandel der Sehgewohnheiten
Raus aus der Horizontalen!
Für den Verkaufserfolg von Printmedien gilt – wie uns Politmagazine wie der Spiegel, Neue Marktblätter (Geld Idee) oder Fernsehzeitschriften (TV Spielfilm) regelmäßig beweisen – eine ganz einfache Regel: Titten zeigen. Und zwar am besten von vorn. Von der Seite, von oben oder von unten, das ist alles Tinnef. Möglichst prall sollen die Möpse sein und buchstäblich ins Auge fallen.
Daran hat keine „kleiner Busen“-Mode etwas ändern können, kein Schwarzer-Meysel-Prozess gegen den Stern, keine Gleichstellungsbeauftragte und auch keine Gender-Diskussion. Ganz anders beim Fernsehen: Hier, beim bewegten Bild, ist nicht Busen gleich Busen, ist die „Sex sells“-Idee nicht unweigerlich an eine stereotype Frauen-Position gebunden. Im Gegenteil. Die Darstellung der Frau beim Geschlechtsakt ist dem Wandel unterworfen.
Wurde zu Beginn des Fernsehsexes in den 60er- und 70er-Jahren die Frau fast ausnahmslos in der unteren Etage der Missionarsstellung gezeigt, so erblickt man die Damen im heutigen Sex-TV fast ausnahmslos auf den Herren sitzend. Irgendwo zwischen den Laken unten liegen ist total out. Oben sitzen und Spaß haben, das ist es, was das Fernsehen heute zeigt, egal ob die Szene im Bett, im Auto oder auf dem Bürostuhl spielt.
Für diesen Positionswechsel mag es verschiedene Gründe geben: Zum einen könnte die Reiterstellung als Metapher für das Führungs- und Kräfteverhältnis unserer Gesellschaft gelesen werden. Dafür spricht, dass das ganze sexuelle Befreiungszeug der 68er zunächst wenig mehr war, als die Frauen endlich dazu zu bringen, dass sie „Ja“ zu ihrer sexuellen Ausbeutung sagen. In der Folge wurden dann Sexszenen gedreht, bei denen Frauen ihre Freude über die Emanzipation und ihre Teilhabe an der Freizügigkeit dadurch zeigen konnten, dass sie stundenlang unten lagen und „Oh, oh“ hechelten.
Heute hingegen haben Frauen sich in großem Maße aus der „empfangenden Haltung“ befreit, wollen weder das Haushaltsgeld noch den sexuellen Spaß zugeteilt bekommen – entsprechend ist auch die Missionarsstellung nicht länger als „befriedigend“ einzustufen, etwas mit mehr Aktionsradius muss her. Ein weiterer Grund für die veränderte Darstellung des Geschlechtsaktes mag aber auch darin liegen, dass immer mehr Frauen Filme machen. Eine Chance zur Veränderung der Gesellschaft, nach der Feministinnen jahrelang gelechzt haben. Warum sollten die Filmemacherinnen, egal ob im Auftrag von Arte, einem Frauenfilm-Förderprogramm oder RTL etwas zeigen, das gemeinhin als langweilig und öde gilt? Etwas, bei dem nur die wenigsten Frauen einen Orgasmus haben und die Möglichkeit, das Geschehen in ihrem Interesse zu steuern und zu bestimmen?
Doch gesellschaftliche Stellung der Frau hin, Filmemacherinnen her. Ein ganz anderer Verdacht drängt sich auf, über die wahren Beweggründe, der sexuell aktiven Frau aus der Horizontalen hoch zu helfen: der Busen einer im Sitzen bumsenden Lady wackelt viel stärker. Kurz: Man sieht einfach mehr.
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