eine luftpumpe zum beispiel von MARK-STEFAN TIETZE :
Überall schreien sie jetzt: „Der Typ hat den Lottogewinn vergeigt! Eine ganze Million futsch! Was für ein Pechvogel!“ Mag sein – mag aber auch nicht sein. Vielleicht müsste man das Ganze ein bißchen differenzierter sehen. Eventuell hat der Besitzer des Scheins mit der Nummer 0701 6805 1688 7624 den Gewinn extra nicht abgeholt. Es wäre doch nicht gänzlich abwegig? Zumal ich den Typen womöglich kenne. Bzw., hihi, es unter Umständen sogar selber bin!
Natürlich habe auch ich schon davon geträumt, mal ganz groß rauszukommen. Denn wenn man auch meint, man könnte gar nicht glücklicher sein, weil man sich gerade eine Fahrradreparatur hat leisten können, so gibt es doch immer noch etwas, was einem fehlt: eine Luftpumpe zum Beispiel. Fehlt einem aber die Luftpumpe, so schlackert der Mantel immer so formlos auf dem Asphalt. Man fühlt sich für künftige Schlauchperforationen verantwortlich und verliert den Spaß am Leben.
Auch ich habe manchmal gedacht, dass gegen solche Unbillen eine Million durchaus helfen könnte. Mit einer Million würde man sich einfach ein neues Fahrrad kaufen oder jemanden anstellen, der einem ein neues Fahrrad kauft. Die Kreditkarte aus dem Ärmel geschüttelt – und schon stünde ein chromblitzender neuer Flitzer vor der Tür.
Aber es nimmt ja kein Ende, wenn man einmal so zu denken beginnt: Statt einem müssen es plötzlich mehrere Bedienstete sein – und schon ist eine Teufelsspirale in Gang gesetzt! Mal will man dann dies, mal plötzlich das, von allem aber immer mehr – und wird sein Lebtag nicht mehr zufrieden! Man rennt dem Zeitgeist hinterher, tätigt unsinnige Anlagegeschäfte und nimmt allerlei ekle Fratzengesichter an! Einfach nur, weil man sich nicht so akzeptiert, wie man ist!
Den Wahnsinn wollte ich nicht mitmachen. Und weil Bescheidenheit vor der eigenen Haustür anfängt: Ich hätte mir von meiner Million lediglich ein neues Paar Schnürsenkel kaufen bzw. kaufen lassen wollen. Nur – was hätte ich mit dem Rest getan? Zunächst wollte ich ihn noch verschenken, aber dann fiel mir rechtzeitig ein, dass ich damit nur in jemandes Lebensentwurf eingegriffen hätte. Kurz erwog ich auch, das Geld auf eine Parkbank zu legen. Der Finder hätte sich immer noch überlegen können, ob er’s nimmt oder nicht. Aber hätte ich mich damit nicht feige vor der Verantwortung gedrückt? Hätte nicht jeder Finder, egal wie charakterstark, dasselbe unselige Prinzip zu spüren gekriegt? Eben noch glücklich – in der nächsten Sekunde schon festgekettet an primitive Pseudobedürfnisse, gewürgt von übertriebenen Wünschen und gequält von maßlosen Sehnsüchten?! Ich musste handeln, musste den Lottoschein verbrennen und die Asche mit dem Taschenmesser zu Atomen zerstückeln! Wie gut ging’s mir danach! Wie frei fühlte ich mich!
Dass man mich jetzt für einen Trottel halten wird, ist mir egal. Groß rauskommen möchte ich nämlich lieber aus eigener Kraft: Einen Top-Twenty-Hit schreiben, eine schicke Galerie eröffnen, einen neuen E-Commerce-Programmstandard entwickeln oder so. Das macht, wie ich hörte, mehr Spaß und gibt einem außerdem das beruhigende Gefühl, sich sein neues Paar Schnürsenkel tatsächlich selbst verdient zu haben.
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