piwik no script img

ein sofa für anfänger von ILKE S. PRICK

Gisela macht jetzt Supervision, Matilde themenzentrierte Interaktion und Gerd, der macht eine Ausbildung als NLP- Practitioner. Allein bei dem Wort verknäult sich meine Zunge. „Und was machst du?“ – „Ja, hmm, ich …“ Ich räuspere mich und rutsche tiefer ins Sofa. „Also nichts“, stellen sie fest und nicken mitleidig. Steht es wirklich so schlecht um mich?

„Vielleicht“, meint Gisela, „solltest du es mal mit Coaching versuchen! Mit jemandem, der deine Ich-AG so richtig trainiert.“ Aha, denke ich und sehe mich widerwillig durch den Park hecheln. Ist es das, was ich brauche? „Typberatung?“, frage ich in der Hoffnung, dass mir das Joggen erspart bleibt. Sie schütteln den Kopf. „Du musst das wirklich grundlegender angehen, sonst kann dir jeder ein A für ein U vormachen! Schau doch mal ins Internet.“ Mit einer seriösen weißen Bluse ist es bei mir wohl nicht getan.

Da ich viel von ihrem Rat halte, finde ich mich am nächsten Tag Auge in Auge mit einer Suchmaschine wieder. Recherche für meine Zukunft. Was ich da sehe, klingt gar nicht übel und wenig nach Jogging. Eine Dame in Nürnberg will meine Persönlichkeit weiterentwickeln und stellt sich als erfahrene „Couching-Trainerin“ vor. Das soll es geben? Professionelles Lümmeln? Nicht schlecht! „Couching und Supervision“ lese ich weiter. Ob Gisela das meinte? Ich sehe mich in ein rotes Sofa sinken. Jemand ordnet mein Leben, und ich verdiene hinterher ohne Mühe so viel, dass ich mir drei weiße Blusen kaufen kann. Mindestens.

Ich finde Angebote zu „Personalcouching“ für alle Themen des Human Resources Managements, was immer das auch sein mag, und ich entdecke „Couching für Sekretärinnen“. Darunter kann ich mir wiederum sehr viel vorstellen. Büros und Sofas und Telefonate: „Schatz, ich komme heute etwas später nach Hause. Warte nicht auf mich. Ja, eine wichtige Sitzung.“ Es ist erstaunlich, was sich so tut auf dem Weiterbildungsmarkt.

Auf der Homepage einer christlichen Gruppe gruselt es mich allerdings. „Wir schauen aufs Herz Jesu“, heißt es da blutdurstig, und dann werden Seminare zu theologischen Themen und „Couching für Führungskräfte“ angeboten. Brauchen die denn für das Couching mit ihren Schäfchen wirklich noch Weiterbildung?

Auch eine schöne Bildungsmaßnahme, die ich auf einer Seite für mittelständische Firmen finde: „Couching für Unternehmer und Ehepartner“. Sogar mit Förderung durch den europäischen Sozialfonds. Das erinnert an früher, an die Sofas der Selbstuntersuchungskurse in feministischen Frauenzentren. Und nun gibt es sogar ein Couching für all die Ehepartner, die mit Hand anlegen wollen. Es hat sich tatsächlich etwas geändert.

Am Ende des Abends sehe ich meine Zukunft in rosigen Tönen. Ich bin Gisela, Matilde und Gerd sehr dankbar für ihre Anregung. Endlich werde ich was für mich tun! Sie können stolz sein auf mich, denn ich melde mich an: zur Ausbildung im Odenwald. Couching-Trainerin. Gepflegtes Lümmeln, davon habe ich wirklich Ahnung! Und jetzt kaufe ich mir erst mal eine weiße Bluse.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen