egon bahr wird ehrenbürger: Der Kammerdiener zieht gleich
„Berlin vibriert“
In den Gängen des Abgeordnetenhauses, in der Reihe der Ehrenbürger, hängt auch ein Porträt von Willy Brandt. Der frühere Regierende Bürgermeister in Öl, nachdenklich. Demnächst ist dort auch einer zu sehen, der sich einmal als Brandts politischer Kammerdiener bezeichnet hat. Buschiges graues Haar wird sein Bild zeigen müssen, ein Netz von Falten auf der hohen Stirn mit zwei scharfen Linien runter bis zur Nasenwurzel. Egon Bahr war Senatssprecher unter dem Regierenden Bürgermeister Brandt, Planungschef beim Außenminister Brandt, Staatssekretär beim Kanzler und Parteigeschäftsführer beim SPD-Chef Brandt. Heute, an seinem 80. Geburtstag, wird Bahr Ehrenbürger und zieht zum ersten Mal gleich.
Ein unglaubliches Gefühl der Wärme und der Dankbarkeit habe die Mitteilung von der Ehrung bei ihm ausgelöst, erzählt Bahr bei einem Treffen nahe der SPD-Zentrale in der Wilhelmstraße, wo er noch ein Büro hat. „Ich habe diese Stadt immer als die meine betrachtet“, sagt er. Hier ging er zum Gymnasium, machte eine Lehre bei Rheinmetall-Borsig und wurde nach dem Krieg Reporter, erst bei Zeitungen, dann beim Rias. Hier war er ab 1960 Senatssprecher und handelte das Passierscheinabkommen aus. 1966 ging Brandt als Außenminister nach Bonn, und Bahr ging mit und handelte die Ostverträge aus: „Hier war mit dem Passierschein alles ausgereizt. Und als Brandt mir sagte, er könne in Bonn für die Stadt mehr tun als in Berlin, war die Sache für mich klar.“
Fast 30 Jahre später erst kam er zurück, nach Jahren als Parlamentarier und Bundesminister in Bonn und als Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. „Die Stadt vibriert.“ In Mitte wohnt er, knapp einen Kilometer vom Schlossplatz entfernt. Wenn das Schloss wieder aufgebaut werden sollte, dann nur die Fassade und in richtigen Proportionen, sagt Bahr – die Innereien müssten andere sein. Den Volkskammersaal sollte man integrieren, hat er der Expertenkommission geschrieben. „Das ist doch der Ort, in dem der Beschluss zum Beitritt erfolgte.“ Für ungeschichtlich hielte es Bahr, wenn der Raum in einem neuen Bau untergeht.
Die Ehrenbürgerwürde wird ihm heute Klaus Wowereit verleihen. Bahr habe als ein Architekt der Entspannungspolitik Willy Brandts die Lage des geteilten Berlin erträglicher gemacht, heißt es in seiner Begründung. Weitsicht, Ausdauer und politisches Geschick hätten ihn ausgezeichnet. Wowereit fiel Bahr erstmals auf, als er sich ab Mitte der 90er im Haushaltsausschuss mit Finanzen beschäftigte. Als Wowereit ihm im März 2001, damals noch SPD-Fraktionschef, zum 79. Geburtstag gratulierte, schrieb Bahr zurück: „Wer was will, muss auch was riskieren.“ Knapp zweieinhalb Monate später war die große Koalition beendet und Wowereit Regierender – eine Aufforderung zum Koalitionsbruch? Bahr schüttelt leicht den Kopf: „Nein, der brauchte keine Aufforderung, der wusste, was er wollte.“
Für die Sparpolitik im Senat legt Bahr die soziale Messlatte an: „Wenn man ins Fleisch schneidet und in der Bevölkerung nicht das Gefühl da ist, dass das gerecht ist – die Großen mehr, die Kleinen weniger –, dann kann ich kein Verständnis erwarten.“ Weiterhin gebe es Mentalitätsunterschiede und eine beunruhigende Entfremdung zwischen Ost- und Westberlin. „Dass sich jeder am liebsten mit sich selbst beschäftigt, dass immer noch ‚drüben‘ gesagt wird, ist ja nicht das Ergebnis der Einheit, sondern das Ergebnis der Begegnung.“
Die CDU hat die Ehrenbürgerschaft für ihn abgelehnt. Unionsfraktionschef Frank Steffel stellte die Ehrung in eine Reihe mit dem geplanten Rosa-Luxemburg-Denkmal: „Das ist die Politik, die Berlin spaltet.“ Für den parlamentarischen Geschäftsführer Frank Henkel hat sich Bahr zwar Verdienste um die Stadt erworben: „Wir kritisieren jedoch vor allem seine Rolle zur Einheit Deutschlands.“ Mit seinen 1963 formulierten Thesen zum „Wandel durch Annäherung“ habe er der Wiedervereinigung die Legitimation abgesprochen. Bahr hat wenig Worte für die CDU-Position übrig: „Mangelnde Geschichtskenntnisse, Opfer der eigenen Propaganda, nicht zu kommentieren.“ STEFAN ALBERTI
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