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editorialHetzer und 68er

Ohne Zweifel, im Jahr 2018 wird mit Religion wieder Politik gemacht. In Berlin trugen kürzlich Tausende aus Solidarität mit jüdischen Bürger*innen Kippa, in Bayern nagelt die CSU Kreuze als Symbole kultureller Identität an die Wand. Die AfD stellt sich auch im Bundestag als Bewahrerin christlich-abendländischer Werte dar, und selbsternannte „Lebensschützer“ geißeln Schwangerschaftsabbrüche pauschal als „Mord“ an Gottes Schöpfung.

Wenn sich in dieser Woche von 9. bis 12. Mai Zehntausende Katholik*innen unter dem Motto „Suche Frieden“ zum 101. Katholikentag in Münster treffen, werden diese Themen jedoch eine untergeordnete Rolle spielen. Denn die katholische Kirche mischt sich nicht gern ein in die irdene Politik – daran hat sich trotz aller Reformbemühungen nicht viel geändert. Selbst die 68er – so erfolgreich sie die damaligen Autoritäten infrage stellten – bissen sich an der lebensfernen Amtskirche die Zähne aus. Bischöfe in Lateinamerika forderten mehr Einsatz für die Armen und Unterdrückten – im Vatikan schalt man sie Marxisten. In Deutschland verlangten feministische Theo­lo­g*innen die Öffnung der Priesterweihe für Frauen und eine neue Sexualmoral – der Papst konterte mit der „Pillen-Enzyklika“.

Viele, die sich damals enttäuscht von der Kirche abwandten, engagieren sich 50 Jahre später immer noch – dank Papst Franziskus sogar mit einer gewissen Hoffnung – für deren Öffnung. Es sind Gruppen wie „Wir sind Kirche“, die in Münster die unbequemen Fragen stellen: Tut die Kirche genug gegen sexualisierte Gewalt? Behandeln unsere Würdenträger wirklich alle Menschen gleich? Und: Müssen sich Christ*innen nicht beherzter gegen Fremdenfeindlichkeit einsetzen – anstatt die AfD erstmalig auf einen Katholikentag einzuladen? Neben dem offiziellen Programm ist so ein „Katholikentag plus“ entstanden – mit mutigen Veranstaltungen und überfälligen Diskussionen.

Grund genug für die taz, den selbstkritischen Stimmen in der katholischen Kirche vier Sonderseiten zu widmen. Aus Solidarität mit jenen, die als Katholiken mehr suchen als den eigenen Frieden – und sich Fremdenfeinden (Seite II), Dogma­tikern (III) und „Lebensschützern“ (IV) entgegenstellen.

In diesem Sinn wünschen wir fruchtbaren Streit.

Ralf Pauli

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