piwik no script img

dvdeskGesenkteres Haupt war noch nie

„Die Straße“ (D 1923, Regie: Karl Grune). Die DVD ist im Shop der Edition Filmmuseum für 19,90 Euro erhältlich.

Als „Die Straße“ vor hundert Jahren in die Kinos kam, machte der Film Furore, nicht nur in Deutschland, sondern bald darauf auch in Paris oder London. Siegfried Kracauer, späterer Autor des bis heute kanonischen Werks „Von Caligari zu Hitler“, lobte ihn in seiner Kritik in der Frankfurter Zeitung als „eines der wenigen Werke moderner Filmregie, in denen ein Gegenstand Gestaltung erfährt, den nur der Film so gestalten kann, und Möglichkeiten verwirklicht werden, die nur für ihn überhaupt Möglichkeiten sind“. Er begründete gar ein ganzes Genre, das der „Straßenfilme“: Ein Mann geht hinaus in die Großstadt, die sich als Moloch erweist, und kehrt gedemütigt, mindestens ernüchtert zurück.

Einen Namen trägt der Held in diesem Film nicht, im Titel ist er nur als „Der Ehemann“ ausgewiesen. Er liegt zu Beginn in seinem Bett in kärglicher Stube, die Kamera blickt von noch tiefer unten: ein Schattenspiel an der Decke, Heim-Kino quasi, lockt den Mann ans Fenster. Draußen lebhafter Straßenverkehr, aber vor dem inneren Auge noch viel wilderes Treiben, das in wilder Überblendung expressionistisch ausgemalt wird, mit Feuerwerk, Jahrmarkt, rasenden Rädern und Autos, Achterbahn, Tanz, Clown, dem verführerischen Lächeln einer Frau: Das Vergnügen der Außenwelt nimmt in dieser Montage zeitgemäß filmische Form an. Da muss der Ehemann hin, verlässt klammheimlich die Wohnung. Die Suppe, die die Frau in der Küche gekocht hat, schüttet sie zurück in den Topf.

Die Welt der Straße ist eine der Studiobauten. Und sie ist voller falscher Versprechen. Eine Frau an der Ecke, die jung scheint, deren Gesicht sich im nächsten Bild als Totenschädel erweist. Eine aufleuchtende Lichtschlange auf dem Boden lädt den Mann in ein Etablissement, eine Trickbetrügerin will ihm ans Portemonnaie, später wird er beim Kartenspiel hinter einem Vorhang im Tanzlokal ausgenommen. Der Biedermann stakst mit Schirm und Hut als Fremdelement durch diese nächtliche, ihm fremd bleibende Welt, ein bisschen wie Jacques Tatis Monsieur Hulot Jahrzehnte später.

Gesprochen wird nicht. Das gehörte zu den Dingen, die Kracauer so großartig fand. Der Film braucht keine Zwischentitel, sondern reimt sich alles ohne Worte zusammen, Bilder und Gesten genügen. Das Spiel ist deutlich genug: Wenn Eugen Klöpfer als Ehemann am Ende gesenkten Hauptes zur Gattin zurückkehren wird, dann ist das ganz wörtlich zu nehmen, gesenkteres Haupt war noch nie.

Klöpfer war mehr ein Mann des Theaters als des Kinos, mit sehr deutscher Karriere: Goebbels-Kumpel, Staatsschauspieler, Intendant der Berliner Volksbühne, wichtige Rolle in Veit Harlans antisemitischem Machwerk „Jud Süß“, von Hitler als „Gottbegnadeter“ vom Kriegsein­satz befreit. Das hatte nach dem Krieg kaum Konsequenzen, er spielte weiter, starb aber bald. Regisseur Karl Grune dagegen ging 1933 nach England ins Exil, drehte ein paar erfolglose Filme, dann war es mit seiner Karriere zu Ende.

Der Ausgabe der „Edition Filmmuseum“ ist ein weiterer Stummfilm beigegeben, „Gefahren der Großstadt“, 1924 in München gedreht, der in didaktischen Szenen vor Bananenschalen und Trickdieben warnt, auch vor Müttern mit Kinderwagen, die den Straßenbahnen und Autos im Weg sind. Filmisch ist das nicht sehr interessant, immerhin ist eine Szene mal knallrot viragiert. Eindrucksvoll sind die dokumentarischen Aufnahmen, etwa der enorme Verkehr auf dem Marienplatz, hier sind es die Fußgänger, die sich störend verhalten. Ein Glück, dass die Polizei eingreift und alles regelt. Ihr wird im Vorspann herzlich gedankt. Das verbindet die Filme: Sie sind als autoritäre Ordnungsrufe gemeint. Ekkehard Knörer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen